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Sonntag, 27. April 2014

Psychologische Therapie - Zusammenfassung des Buchs von Klaus Grawe

Psychologische Therapie von Klaus Grawe in Stichworten


1. Dialog: Wie kommen Veränderungen durch PT zustande?

22 Franks (1961) Annahme: PT-Wirkung durch Veränderungen der Erwartungen. Schon ein Untersuchungsgespräch kann Besserungserwartungen induzieren. Ein Therapeut muss kompetent und sein Setting professionell erscheinen. Er muss ein für den Patienten nachvollziehbares Rationale anbieten und ein daraus konsistent ableitbares Behandlungsritual vollziehen.
24 Fish, 1973: Placebotherapie: Therapeut macht sich ein Bild von den Überzeugungen und Ansichten des Patienten, macht einen Behandlungsvertrag mit Festlegung der Therapieziele und vollzieht ein Behandlungsritual, das allein danach gewählt wird, ob es den Patienten überzeugen kann, dass es ihm helfen wird.
26 Man nimmt in der Medikamentenforschung schon lange an, dass der Glaube des Patienten an die Wirksamkeit des Mittels ein wesentlicher Teil der Effekte ist (Shapiro, 1971; Shapiro und Morris, 1978).
Rosenthal-Effekt (Rosenthal,1969; Rosenthal und Rubin, 1978): interpersonal expectancy effect (Erwartung des Versuchsleiters wirkt auf Versuchsergebnis, Erwartung des Lehrers auf Leistung des Schülers, Erwartung des Therapeuten auf den Erfolg des Patienten.
28 Kirsch, 1990 verglich die Systematische Desensibilisierung mit Placebo-Kontrollbedingungen, die bei den Placebo-Patienten glaubhafte Hoffnung auf Besserung weckten. Die Placebogruppe zeigte gleich gute Ergebnisse wie die Verumgruppe -> Desensibilisierung ist wahrscheinlich eine Placebotherapie.
Die Erwartunginduktion ist das zentrale Wirkprinzip von Hypnose (Kirsch, 1990; Grawe, Donati, Bernhauer, 1994) und ein wichtiger Wirkfaktor von PT überhaupt.
34 Constraints = Beschränkungen
37 Schwierige Patienten haben keine positiven Besserungserwartungen = Reaktanz als Ressource begreifen und mit paradoxen Interventionen als Motivationsquelle nutzen (u.a. Shoham-Salomon und Rosenthal, 1987).
Selbstwirksamkeits- und Angsterwartung (Reaktionserwartung = response expectation in Bezug auf die eigene unwillkürliche Reaktion, physiologische Reaktionen und Gefühle) korrelieren mit -0,89 sehr stark negativ.
44 Exposition bei Agoraphobie wirkt über Habituation, jedoch nicht allein. Southworth und Kirsch (1988) zeigten dass die Exposition mit einer positiven Erwartung verbunden sein muss, sonst bewirkt sie keine Angstabnahme.
Die Exposition muss nicht solange stattfinden, bis sich die Angst auf die Hälfte reduziert hat. Der gleiche Effekt lässt sich erzielen, wenn sich der agoraphobische Patient der Situation nur so lange aussetzt, bis ein bestimmtes Angstniveau erreicht ist (Rachman et al, 1986). Es kommt auf den Bedeutungskontext an: Wenn der Therapeut sagt, dass es reicht, nur ein bestimmtes Angstniveau zu erreichen, um positive Wirkungen zu erzielen, wird er über die positive Erwartungsinduktion eine Besserung erzielen.
45 Wichtig ist auch die Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartungen -> schrittweises Vorgehen, um Vermeidungsverhalten abzubauen, und die Reduktion der Angsterwartung durch das Ersetzen katastrophierender Kognitionen durch realitätsgerechtere.
Anwendung im Teufelskreismodell von Margraf und Schneider (1990).
61 Handlungsphasenmodell von Heckhausen und Gollwitzer (1987): Motivation -> Rubikon=Intentionsbildung -> Volition -> Intentionsrealserung=Handeln.
64 Erwartungs-mal-Wert-Konzeption ist ein wichtiger Beitrag zur Motivationsforschung.
67 Komplementäre Beziehungsgestaltung: Identitätsziele (unbewusste Oberziele) des Patienten, die oft vordergründig seinen Interessen zuwiderzulaufen scheinen, aus dem nonverbalen Verhalten erschließen und gezielt bestätigen, statt von der Gegenübertragung geleitet, den Patienten (z.B. e abzulehnen oder zu kritisieren (Grawe, 1992, 1996). Durch Befriedigung der Identitätsziele nimmt die Volitionsstärke für diese vorübergehend ab, und der Patient erscheint verblüffend verändert. Andere Intentionsziele können höhere Volitionsstärken erzielen. Die Identitätsziele sind jedoch unstillbar. Gerade problematische Identitätsziele müssen langfristig bestätigt werden (paradoxe Intervention), damit sich der Patient in Richtung anderer Ziele verändern kann. (Menschen funktionieren nicht nach einem einfachen Verstärkungsprinzip).
69 Links des Rubikon: Realitätsorientierung, selbstkritischer, ggf. ineffizienter oder konflikthafter Abwägungs- und Wahlprozess vor der Intentionsbildung, in den (auch unbewusste) Wünsche und Befürchtungen eingehen. Rechts: Realisierungsorientierung, Parteilichkeit (Heckhausen, 1987).
70 Realisierbarkeitserwartung wird durch tatsächliche Veränderungen des Verhaltens, der Interaktion, der Arbeitsbedingungen verbessert. Die Veränderung von Erwartungen ist also keine rein kognitive Angelegenheit.
75 Ein großer Teil der Wahrnehmungspsychologie befasst sich mit unbewussten Vorgängen. Luborsky und Barber (1994) stellen in Psychotherapy Research Methoden zur Erforschung unbewusster Konflikte vor.
76 Buck, 1984: Wünschen, Wählen und Wollen sind nur die oberste, dünne Decke, oben auf einer Hierarchie von basalen Motivationssystemen, die über Jahrmillionen entstanden sind: automatische Reaktionen des autonomen Nervensystems, des endokrinen und des Immunsystems, darüber vorfixierte Bewegungsmuster, für angeborene Verhaltensweisen, darüber primäre Triebe, die Störungen des Körperhaushalts ausgleichen, darüber erlernte Bedürfnisse, die sich von den primären Trieben ableiten, aber selbstständig geworden sind. Darüber primäre Affekte wie Glück, Trauer und Furcht, die hirnphysiologisch tief verankert sind, sich aber konditionieren lassen. Darüber das Streben nach Wirksamkeit gegenüber der Nahumwelt. Darüber soziale und kulturelle Motive und darüber gelegentlich ein wenig Wünschen und Wollen (Heckhausen, 1987).
77 PT als motivationaler Klärungsprozess zur Bildung eindeutiger Intentionen.
80 Dabei kommt es auf die emotionale Beteiligung und Bearbeitungstiefe im Explizierungsprozess an. Auf der Bearbeitungsskala von Sachse (1992) nimmt der Patient auf den hohen Stufen eine persönliche Bewertung und Bedeutungsgebung der Inhalte des Gesagten vor und reflektiert Bedeutungsstrukturen (Was lässt mich in Bezug auf diesen Inhalt so fühlen?). Auf der höchsten, der achten Stufe der Integration kommt der Patient zu Einsichten und deren Konsequenzen, zu wachsender Klarheit und Zuversicht.
83 Greenberg, Rice und Elliott (1993) entwickelten über die klassische Gesprächs- und Gestalttherapie hinaus den Prozess-Erfahrungs-Ansatz. Der Patient soll zu seinen Einsichten (klaren emotionalen Bedeutungen) und nicht zu bestimmten Einsichten kommen, z.B. mit dem Two chair dialog.
86 Vorannahmen über Konfliktdynamik unnötiger Ballast.
Vier Wirkprinzipien: Intentionsrealisierung (Problembewältigung), Intentionsveränderung (motivationale Klärung), prozessuale Aktivierung und Ressourcenaktiverung.
88 Die Verbesserung des Könnens, der potentionalen, handlungsorientierten Möglichkeiten des Patienten verbessert auch die Volitionen. Realisierbarkeit und Wünschbarkeit sind im Konzept der Volitionsstärken untrennbar miteinander verbunden.
89 Motivationale Klärung: Die Aufmerksamkeit des Patienten wird auf den Wahlprozess selbst und die darin eingehenden Prämissen gelenkt.
104 Die Bedeutung inhaltlicher Deutungen ist signifikant, aber nicht sehr hoch.
107 Weiss, Sampson und The Mount Zion Psychotherapy Research Group (1986): Patienten kommen mit positiven Zielen, die ihrer Selbstverwirklichung dienen, und Befürchtungen (pathogenic beliefs). Sie testen ihre Therapeuten, ob diese sie im Sinne ihrer Ziele annehmen und vertrauenswürdig sind. Wenn der Therapeut den Test besteht, d.h. sich im Sinne der Wünsche und nicht der Befürchtungen verhält, entwickle sich eine vertrauensvolle Therapiebeziehung und korrektive emotionale Erfahrungen. Das wirksame therapeutische Geschehen spielt sich auf der prozessualen Ebene ab, ohne dass es thematisiert wird.
113 Schematheoretische Ansätze zur Integration von kognitiver Psychologie und Psychodynamik über konflikthafte Beziehungsmuster von Strupp und Binder (1984) und Luborsky (1984), Mardi Horowitz (1988) und Leonard Horowitz (1994), Greenberg, Rice und Elliott (1993), Wachtel (1977), Guidano und Liotti (1983).
118 Die gute Wirkung von Exposition bei Agoraphobie ist darauf zurückzuführen, dass der Patient eine korrektive, weil gegenteilige Beziehungserfahrung zu dem macht, was er als Kind erlebt hat (Einschränkung von Autonomie, Darstellung der Umwelt als bedrohlich, Bedrohung, allein gelassen zu werden). Der Patient erhält emotionalen Schutz, wird ermutigt und unterstützt, die Umwelt zu erkunden. Die eindeutigen (ohne Ambivalenz) korrektiven Beziehungserfahrungen machen den Weg frei für eindeutige Intentionen des Patienten und die Intentionsrealisierung.
120 Die Annahme, dass die Agoraphobie eine Funktion in der Partnerbeziehung hat sich, wenn sie überprüftwurde, regelmäßig nicht bestätigt (Schulte, 1996).
132 Orlinsky, Grawe und Parks (1994): experiential confrontation als eine der wirksamsten Interventionen bei einer Metaanalyse der Prozess-Outcome-Zusammenhänge.
133 Die Zahl der Übertragungsdeutungen korreliert negativ mit dem Therapieergebnis (Henry et al, 1994). Übertragungsdeutungen in Bezug auf eine problematische Therapiebeziehung führen zu defensiven Verhalten beim Patienten, das mit einem schlechten Ergebnis der Therapie korreliert (Orlinsky, Grawe und Parks, 1994). Die Ursache dafür sehen Henry, Schacht und Strupp (1986, 1990) in der Doppeldeutigkeit von Übertragungsdeutungen (freundlich belehrend und kritisierend). Wile (1984) sieht die Feindseligekeit von Übertragungsdeutungen in der psychoanalytischen Theorie begründet (nach welcher der Patient infantilen Impulsen nachgibt, defensiv ist, Entwicklungsdefizite und Widerstände hat).
143 Synder, Wills und Grady-Fletcher (1991) fanden heraus, dass eine verhaltenstherapeutische Paartherapie einer einsichts- oder klärungsorientierten etwas überlegen war, aber nach vier Jahren 39% der mit VT behandelten Paare und nur 3% der klärungsorientiert behandelten Paare geschieden waren.
152 Die zentrale Annahme der Familientherapie, dass Verbesserungen der Familieninteraktion die Symptome der psychischen Störung des identifizierten Patienten verbessern, entbehrt noch einer ausreichend replizierten empirischen Bestätigung. Es gibt wahrscheinlich keine spezifischen Familienkonflikte, die zu bestimmten Störungsbildern führen (z.B. die Anorexiefamilie). Die Zusammenhänge sind wie in der Psychosomatik viel unspezifischer. Eine alleinige Behandlung des Familienkonflikts reicht nicht aus, sondern diese muss kombiniert werden mit störungsspezifischen, intentionsrealisierenden Interventionen.

2. Dialog: Grundlagen psychologischer Therapie

181 William Powers Bücher “The Control of Perception” (1973) und “Living Control Systems” (1989, 1992): Verhalten ist ein Mittel, um die eigenen Wahrnehmungen zu kontrollieren. Das Verhalten ist nicht darauf ausgerichtet, einen bestimmten, objektiv zu definierenden Umgebungszustand zu erzeugen, sondern darauf, eine subjektive Wahrnehmung ganz bestimmter Qualität herzustellen, die von höheren Regulationsebenen den niederen Ebenen als Sollwert vorgegeben wird.
Sensorisch stehen wir mit der Umwelt über unsere Rezeptoren im Kontakt, einwirkend durch Muskelbewegungen. Ein Signal erster Ordnung entsteht durch die Stimulation von Rezeptoren, die Intensitäten der Reizung messen können. Eine Empfindung, ein Signal zweiter Ordnung (z.B. der Geschmack von Zitronenlimonade) entsteht erst durch die neuronale Verarbeitung durch spezialisierte Zellen. Signale dritter Ordnung transformieren Empfindungen zu Konfigurationen, indem sie invariante Beziehungen abstrahieren und zu ganzheitlichen Gestaltwahrnehmungen (z.B. die Wahrnehmung eines Stuhls) zusammenfassen. Konfigurationen sind verbunden mit Wahrnehmungserwartungen, die aus fragmentarischen Reizmustern die vollständige Gestalt erkennen lassen. Neuronale Signale vierter Ordnung beziehen sich auf Veränderungen von Konfigurationen und werden als Bewegung wahrgenommen.
Weitere Ordnungen nach Powers: 5. Sequenzen (bestimmte Reihenfolgen, z.B. von Tönen bei einer Melodie), 6. Herstellen zeitlicher oder kausaler Beziehungen zwischen Sachverhalten (Speicherung im Gedächtnis u.a. durch Konditionierung), hierher gehören auch Assoziationen, 7. Programmebene: Ausrichtung von verschiedenen Handlungen auf ein gemeinsames Ziel, hierarchisch-sequentielle Struktur des Handlungsablaufs mit Verzweigungen, an denen logisch-rationale Entscheidungen stattfinden, 8. Ebene der Prinzipien (z.B.: Sei ein netter Mensch) und 9. Systemebene (z.B. Selbstverwirklichung oder Selbstschutz).
187 Powers Kontrolltheorie: Bei Inkongruenz des sensorisch wahrgenommenen Ist-Signals vom Sollwert, der von der höheren Regulationsebene als erwünschte Wahrnehmung oder Wahrnehmungserwartung vorgegeben wird, werden auf der jeweiligen Ebene Verhaltensbereitschaften aktiviert, die aufgrund biologisch festgelegter Programme oder lebensgeschichtlicher Erfahrung geeignet erscheinen, die Inkongruenz zu verringern.
188 Phylogenetisch ist jede höhere Regulationsebene mit ihrer neuen Wahrnehmungsqualität und den zugeordneten Verhaltensmöglichkeiten eine Emergenz der Prozesse, die auf den unteren Ebenen stattfinden. Die Prozesse auf der höheren Ebene setzen die der niederen voraus, sind aber von den niederen qualitativ verschieden und aus diesen nicht ableitbar.
194 Die übergeordneten Ebenen der Kontrolltheorie Powers (Prinzipien und System) können als intentionale Sollwerte (von denen immer nur ein kleiner Teil aktuell bewusst ist) angesehen werden und lassen sich mit Adlers Leitmotiven, Bernes Lebensskript, Ellis und Becks irrational beliefs, oder Youngs early maladaptive schemas in Verbindung bringen. Die Plananalyse von Caspar und Grawe (1984) und später die Schemaanalyse nehmen – im Gegensatz zu den genannten Richtungen – neben der Problemperspektive auch eine Ressourcenperspektive ein.
196 Die psychische Aktivität ist simultan-parallel organisiert.
209 Nach Powers (1973) ist das, was wir wahrnehmen, wesentlich dadurch bestimmt, was wir selbst an die Umgebung herantragen. Die ganze psychische Aktivität ist darauf ausgerichtet, Wahrnehmungen im Sinne bestimmter Ziele zu machen oder eben nicht zu machen. Unsere Wahrnehmungen sind eine im Dienst bestimmter Ziele hergestellte subjektive Wirklichkeit.
Alles, was der Patient sagt, hat drei Funktionen:
1. Abbild der Realität
2. Beeinflussung des Therapeuten im Sinne der Ziele des Patienten
3. Herstellen von Wahrnehmungen im Sinne der Ziele und Illusionen des Patienten.
211 Zweimal dreitausend Haarzellen (in beiden Ohren) stehen etwa hundert Millionen zentrale Neurone gegenüber.
214 Roth (1995): Während unsere Sinnesorgane vieles ausblenden, was in der Außenwelt passiert, enthält unsere Wahrnehmungswelt sehr vieles, was keinerlei Entsprechung in der Außenwelt hat. Insbesondere gehören herzu alle Kategorien und Begriffe, mit denen wir die Welt ordnen, alles Bedeutungshafte in unserer Wahrnehmung (die Ereignisse in unserer Umwelt sind an sich bedeutungslos), Aufmerksamkeit, Bewusstsein, Ich-Identität, Vorstellungen, Denken und Sprache. Wir wenden diese hochkomplexen Konstrukte auf die Welt an, sie sind ihr aber nicht entnommen.
Der Konstruktionsprozess erfolgt ohne jedes Bewusstsein.
Roth (1995): Das Gedächtnis ist das Bindungssystem für die Einheit der Wahrnehmungen, deren Zusammengehörigkeit zu einem Objekt oder Sachverhalt gelernt werden muss. Es ist unser wichtigstes Sinnesorgan.
215 Neissers experimentalpsychologische Untersuchungen (1974) lassen ihn eine präattentive, parallele Verarbeitung der Reizeinwirkung, die nicht ins Bewusstsein gelangt und nicht erinnert wird, und eine fokale Aufmerksamkeit, die zu einer bewusstseinsfähigen figuralen Synthese führt, unterscheiden.
223 Was wir wahrnehmen und erleben können, ist wesentlich durch die Beschaffenheit unseres Nervensystems vorgegeben. Wir haben aber kein Bewusstsein dafür, in welchem Ausmaß unsere neuronale Beschaffenheit unsere Wahrnehmung bestimmt, sondern leben in dem Gefühl, dass unsere Wahrnehmungen durch unsere Umgebung bestimmt werden.
Unser Organismus kann als Theorie über die Welt angesehen werden. Die Beschaffenheit unseres Körpers, seiner Organe, unseres Nervensystems ist gewissermaßen eine Erwartung an oder Hypothese über die Umwelt, die durch Selektion und Mutationen in Jahrmillionen immer weiter verfeinert wurde. Es gibt viele richtige Theorien über die Welt, wie uns die Vielzahl von Arten zeigt.
224 Das explizite Wissen hinkt dem impliziten Wissen unseres Organismus hinterher.
226 Die in der Psychologie gebräuchlichste Bezeichnung für lebensgeschichtlich erworbene Erwartungen ist der Begriff Schema (Läderach und Verdun, 1995). Von Piaget (1976) und Neisser (1974, 1976) werden sie als grundlegende Organisationseinheiten der psychischen Aktivität betrachtet. Wenn wir sie als hierarchisch organisiert betrachten, steht an der Spitze ein Selbstschema als implizite Theorie über die Realität. Epstein (1993) betrachtet das Selbst als Realitätstheorie.
228 Das, was in der Therapie verändert werden muss, ist nur ein kleiner Teil eines umfassenden Ganzen. Aber wir müssen einen Teil des Gedächtnisses verändern, um einen dauerhaften Einfluss auf das Erleben und Verhalten des Patienten zu nehmen.
229 Das Gedächtnis als Summe aller Erwartungen und Bereitschaften zu unbegrenzt vielen unterschiedlichen Erregungsmustern.
Die Verbindung zwischen zwei Neuronen über durchschnittlich zehn erregende oder hemmende Synapsen. Erregung nur bei Summation der Erregung durch mehrere vorgeschaltete Neurone.
230 Gedächtnisinhalt ist durch ein neuronales Erregungsmuster aufgrund zuvor gebahnter synaptischer Verbindungsgewichte zwischen cell assemblies (Hebb) repräsentiert. Frühere Erregungsmuster werden bei der Erinnerung durch aktuelle Kontextbedingungen reaktiviert und rekonstruiert.
Lebensgeschichtliche Erinnerungen sind eine spezielle Form von Kognitionen. Sie sind das Ergebnis einer dreifachen Transformation: die subjektive Interpretation zum früheren Zeitpunkt, die Selbstdarstellungsfunktion gegenüber dem Therapeuten (auch was der Therapeut gerne hört) und die Rekonstruktion durch den gegenwärtigen Kontext (auch die aktuellen Ziele, die entsprechend der Kontrolltheorie den Organismus via Verhalten bestimmte Wahrnehmungen machen lassen).
231 Der Großteil der Gedächtnisprozesse ist unbewusst und introspektiv nicht zugänglich. Bewusst ist nur der Inhalt des Kurzzeit- oder Arbeitsspeicher.
Atkinson und Shiffrin (1968): sensorischer Speicher (wenige hundert Millisekunden) -> Aufmerksamkeit -> Kurzzeitspeicher <-> Langzeitspeicher.
234 Die verschiedenen Formen von Langzeitgedächtnis werden aus der Beobachtung und Messung an Versuchspersonen erschlossen. Gedächtnisprozesse sind Lernprozesse.
Einfachste Art: nicht-assoziatives Lernen (Habituation und Sensibilisierung): Rolle bei der Entstehung von Ängsten. Bei Exposition -> Habituation -> Erwartungsveränderung (assoziativ).
Assoziatives (Verbindung zwischen verschiedenen Reizen oder Reiz und Reaktion durch neue Verbindungen zwischen neuronalen Erregungsmustern) Langzeitgedächtnis kann implizit, nicht-deklarativ, perzeptuell und deklarativ, explizit, konzeptuell (verbunden mit dem subjektiven Eindruck des Erinnerns und Bewusstseins) sein.
Explizit: episodisches Gedächtnis (retrospektiv = autobiographisch und prospektiv = Behalten von Plänen und Absichten) und semantisches G.
Implizit: prozedurales Lernen, Priming (konzeptuell oder perzeptuell), Konditionierung (klassisch oder operant).
236 Das implizit-perzeptuelle Gedächtnis erlaubt eine unbewusste, assoziative Reaktionsfunktion, das explizit-konzeptuelle eine bewusste, konstruktive Interpretationsfunktion.
Nach einem Wahrnehmungsvorgang können nur solche Inhalte zum Gegenstand des Erinnerungsbewusstsein werden, die zuvor eine Bewertung durch die Interpretationsfunktion erfahren haben -> bewusste Entscheidung.
Reaktionsfunktion -> Vertrautheit
Kovariation, Miteinander von bewusster Interpretation und unbewusster Reaktion -> höheres Lernen.
238 Das konzeptuelle Gedächtnis ist nicht sinnesmodalitätsspezifisch. Ein geschrieben gelernter Inhalt wird auch beim Hören wiedererkannt. Und schon die Aktivierung eines Teils eines bereitliegenden Erregungsmusters kann das ganze Muster und den ganzen Inhalt aktivieren (inhaltsadressierter und variabler kontextsensitiver Abruf). Zum Kontext gehört auch der emotionale Zustand der Person.
239 In gehobener Stimmung werden Inhalte leichter erinnert, die in gehobener Stimmung aufgenommen wurden (Goschke 1996).
240 Entsprechendes gilt für andere Emotionen -> Nutzung im Psychodrama und Familienrekonstruktion (prozessuale Aktivierung -> Bewusstsein für implizit-perzeptuelle Gedächtnisinhalte, die nie bewusste Inhalte waren, die also nicht intentional-introspektiv/top-down, sondern nur durch erneute prozessuale Stimulation, bottom-up aktiviert werden können).
Der Weg vom perzeptuellen zum konzeptuellen Gedächtnis ist eine Einbahnstraße (geht nicht umgekehrt).
241 Neuronale Erregungsmuster (die den Schemata zugrunde liegen) müssen aktiviert sein, wenn man sie verändern will. Nervenzellen können nur so neue Verbindungen herstellen -> Beleg für die Wirksamkeit der prozessualen Aktivierung durch experiential confrontation in der realen Beziehungssituation, im Rollenspiel, erlebnisaktivierender Verfahren Reizkonfrontation.
242 Therapeut muss hervorrufen, was er beseitigen will, aber nur in Kombination mit Aktivierung mit positiven Erregungsmustern/Schemata (Ressourcen), die nach der Kontrolltheorie zu einer Hinwendung führen, weil es sonst zu einer Abwendung von den emotional problematischen Inhalten kommt. Bei Hinwendung der Aufmerksamkeit auf Wahrnehmungen, die nicht mit der problemrelevanten Erwartung übereinstimmen, können neue, realitätsgerechtere Erregungsmuster etabliert (Piagets Akkomodation).
243 Ideal: Problemaktivierung + Ressourcenaktivierung + Konfrontation mit neuen, unerwarteten Wahrnehmungen -> Veränderung der im Langzeitgedächtnis gespeicherten neuronalen Erregungsbereitschaften = Erwartungen.
PT ist Veränderung von Erwartungen (Ziele, individuelle Sollwerte, Umwelt und eigener Körper, Wirkungen des eigenen Verhaltens).
245 Implizites Lernen v.a. von Sprachregeln, Gehen, Beziehungsregeln, Ausdrucksverhalten -> unbewusste, nonverbale Interaktion.
246 Emotionale Ansteckung zwischen Mutter und Säugling (Hatfield, Cacioppo und Rapson (1992), Tendenz zur Nachahmung und Synchronisation. Malatesta (1990): Ausdruck von Freude und Interesse der Mutter -> im LZG gespeicherte emotionale Schemata beim Kind (7-8 Monate) -> emotionale Lebensdrehbücher.
247 Beobachtungslernen -> prozedurales Gedächtnis, Identifikation.
248 Mineka et al (1984): Rhesusaffen, die andere Rhesusaffen beobachten, welche Angst vor Schlangen haben, entwickeln sehr schnell und dauerhaft Angst vor Schlangen. -> Übernahme von Ängsten, Tabus, emotionale Gebote oder ganze Beziehungsmuster der Eltern durch ihre Kinder. Vergebliche Suche nach Traumata in der Biographie des Patienten. Stattdessen Genogramm, Hausbesuche, um die familiäre Interaktion zu beobachten.
Wesentliche Infos über implizite Gedächtnisinhalte gewinnt man nicht durch Befragen, sondern Beobachten.
250 Belege für unbewusstes Lernen auch im Erwachsenenalter (Reber, 1989; Lewicki, 1986).
252 Corteen und Wood (1972): Versuche zum dichotischen Hören. Präattentive (tachistokopische oder schwache) Darbietung von konditionierten Reizen an das nicht beachtete Ohr führen zu emotionalen und vegetativen Reaktionen.
254 Unbewusste Wahrnehmugen und Lernprozesse können Einfluss auf unser Erleben und Verhalten haben, ohne dass die bewusste Aufmerksamkeit Zugang zu ihnen gewinnen könnte.
255 Priming ist die implizite Fähigkeit zur Wiedererkennung von Mustern (z.B. Wörtern), die auch ohne konzeptuelles Gedächtnis (also auch von amnestischen Patienten) erworben werden kann. Priming hat eine viel größere simultane Verarbeitungskapazität als konzeptuelles Lernen und ist weniger störanfällig, aber sehr modalitätsspezifisch. Gilt auch für prozedurales Gedächtnis: wenn man gut geigt, kann man noch lange nicht gut Trompete spielen. Ein Transfer von einem Musikinstrument auf das andere kann nur über das semantische Musikverständnis erfolgen.
256 Implizite Gedächtnisinhalte sind nicht unserem Willen unterworfen und lassen sich nicht flexibel einsetzen oder ausschalten (keine Kontrolle über psychische Störung, bevor sie nicht prozessual bewusst gemacht wurden).
259 DeCaspar und Fifter (1980): Neugeborene können an einem Schnuller langsamer oder schneller saugen und damit beeinflussen, ob sie die Stimme der Mutter oder die einer anderen Frau hören. Schon im Alter von 3 Tagen saugt der Säugling so, dass er die Stimme der Mutter öfter hört. Kann erklärt werden als operante Konditionierung oder nach Edelman als reentrant mapping zur Verringerung der Bedürfnisspannung -> neues neuronales Ordnungsmuster.
260 Beim Konditionieren bilden sich neue Assoziationen zwischen vorher unabhängigen Reizen und zwischen Reaktionen und ihren Konsequenzen durch zeitliche Kontingenz heraus.
261 Die neuronalen Bereitschaften als Ergebnisse der Konditionierung können (müssen aber nicht) als Fühlen oder Spüren ins Bewusstsein treten (Perrig 1993).
Konditionierung ist nie der alleinige Lernmechanismus.
261 Hebb betont, dass sich die Vernetzung der Zellen in den cell assemblies nur ändern kann, wenn die postsynaptische Zelle lernbereit gemacht wurde und die prä- und postsynaptische Membran gleichzeitig aktiviert sind. Das Bereitmachen kann erfolgen durch: Priming, Stimmungen, Intentionen, Vorstellungen, angeborene Lernbereitschaften, genetische preparedness.
263 Wechselseitige Aufschaukelungsprozesse bzw. Bahnungen zwischen verschiedenen cell assemblies sind wahrscheinlich eine Ursache bei Ängsten und Depressionen. Kleine Auslöser können so - losgelöst von auf bestimmte Ziele ausgerichtete Intentionen - gravierende sich selbst erhaltende und verstärkende emotionale Erregungen hervorrufen.
Ob es zu und zu welchen Konditionierungen es kommt, hängt von vielen Variablen ab, u.a. vom Zusammenspiel mit höheren Lernformen.
264 Konditionierung verbindet vorher bestehende unverbundene Erregungsmuster raum-zeitlich. Höheres Lernen transzendiert Raum und Zeit mit Hilfe von symbolischen Relationen zwischen den Inhalten des konzeptuellen Gedächtnisses.
265 Neuronale Erregungsmuster manifestieren sich psychologisch als Wahrnehmungs-, Handlungs-, emotionale Reaktions-, motivationale Erinnerungs-, Vorstellungs- und Denkbereitschaften = Schemata.
Wenn sich psychische Prozesse gegenseitig ausschließen oder im Konflikt stehen, zeigt sich das auf der neuronalen Ebene durch Hemmung des einen durch die Aktivierung des anderen.
266 Assimilation = graduelle Veränderung von Bahnungen bestehender Schemata. Akkomodation = Anlegen neuer Bahnungen und Schemata.
267 Die Etablierung neuer Erregungsmuster benötigt Zeit -> Möglichkeit der Regression in Folge Belastung und Überforderung jüngerer Muster. Deshalb ist es in der PT so wichtig, dass der Patient möglichst viele reale Erfahrungen macht, die er an das neue Schema assimilieren kann.
269 Zielorientiertheit des Lernens: einfache Lernprozesse wie die Konditionierung sind in zielorientierte komplexe Prozesse eingebunden.
270 Ein Erregungsmuster bindet andere ein und wird zum übergeordneten Prozess auf einem höheren Regulierungsniveau -> Emergenz, reflektierende Abstraktion Piagets.
271 Kontrollerwartung = Erwartung weite Lebensbereiche selbst kontrollieren zu können.
272 Instrumentalität: Potenzial eines Mittels, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
275 Aus Vrooms (1964) Instrumentalitätstheorie ergeben sich vier mögliche Ansatzpunkte für die Therapie:
- Veränderung des Anreizes oder der Valenz der Handlungsfolgen (wenn ich alleine angstfrei Bus fahre, werde ich die ersehnten großen Reisen machen können).
- Veränderung der Instrumentalitätserwartung (Busfahren ist wirklich geeignet, mir große Reisen möglich zu machen).
- Veränderung der Kontrollerwartungen, ein gewünschtes Handlungsergebnis mit eigenem Verhalten herbeiführen oder ein unerwünschtes vermeiden zu können (Ich schaffe es, angstfrei Bus zu fahren).
- Verbesserung der Fähigkeiten, das angestrebte Handlungsergebnis herbeizuführen.
279 Die Erlebnisqualität des Bewusstseins entsteht bei Synchronisation des Rhythmus der Aktivität von Neuronenverbänden z.B. des limbischen Systems (das Emotionen repräsentiert) mit der Aktivität von Neuronenverbänden in bewusstseinsspezifischen Hirnarealen (z.B. die perisylvinische Region -> verbal-syntaktische Aufmerksamkeitsleistung, rechter posteriorer Parietallappen -> räumlich-visuell, Teile des Thalamus -> Selektion, präfrontaler Cortex -> Prioritäten-Setzen (Birbaumer und Schmidt, 1996). Das Erlebnis von Bewusstsein ist ferner abhängig von der Intensität der Aktivität, denn der Kurzzeitspeicher hat nur eine begrenzte Kapazität.
Ein vorgebahntes Erregungsmuster kann nur ins Bewusstsein gelangen, wenn es dort schon einmal war. Es muss also Bestandteil des konzeptuellen Gedächtnisses sein.
280 Attraktoren sind Erregungsmuster, die einem wichtigen Ziel entsprechen und zieht andere Erregungsmuster in seinen Rhythmus hinein.
Das Nervensystem und damit das psychische Geschehen zeichnet sich durch Eigenaktivität aus. Der Mensch ist nicht auf Stimuli von außen angewiesen. Ein psychologischer Vorgang beginnt also nicht mit einem Stimulus, wie es die S-R-Psychologie konzipierte.
282 Murray, Piaget und Lewin: erstes interaktionelles Konzept von needs und presses
In der psychoanalytischen Standardsituation wird das implizite Gedächtnis durch ähnliche Problemsituationen bottom up prozessual denkbar wenig stimuliert -> nur konzeptuelles Gedächtnis
283 Grawe: Verquickung von Emotion, Kognition und Motivation
284 Grawe propagiert das Lichterbaummodell von Crick und Koch (1990) -> Gleichzeitigkeit psychischer Prozesse. Bei Unvereinbarkeit gegenseitige Hemmung.
285 Interkulturell invarianter mimischer Ausdruck für Emotionen wie Überraschung, Freude, Ärger, Traurigkeit, Furcht, Ekel. Offensichtlich angeborenes physiologisches Reaktionsmuster, Handlungstendenzen und subjektive Gefühlsqualitäten = primäre Emotionen (mammalische Strukturen = älter).
286 Dem kulturell bestimmten Emotionsausdruck liegen jüngere Hirnstrukturen zugrunde.
Buck (1984): Sekundäre Emotionen (Stolz, Dankbarkeit, Sehnsucht, Verlegenheit, Eifersucht, Reue, Verachtung, Scham, Schuld) gehen mit komplexeren kognitiven Bewertungen einher und entstehen aus der Kombination der primären Emotionen.
Panksepp (1989): Fünf fest verdrahtete Regulationssysteme von Emotionen:
1. Erkundung, Neugier, 2. Ärger, Wut, 3. Angst, Furcht, 4. Trennung, Kummer, Sorge Trauer, Leid, Qual, 5. social play.
LeDoux (1989): In diesen affektiven Regulationssystemen findet eine direktere Signalübermittlung statt als bei symbolischer Informationsverarbeitung im Neokortex. Bedeutungen müssen nicht semantisch verschlüsselt werden, sondern sind unmittelbar gegeben -> Handlungsbereitschaften ohne vorangehende kognitiven Bewertungsprozesse.
287 Affekte = Grundformen der Emotionen, beruhen nicht auf selbst erworbenen Gedächtnisinhalten. Emotionale Erfahrungen werden in Form von emotionalen Schemata im impliziten emotionalen Gedächtnis gespeichert. Das Bewusstsein hat keinen Zugriff auf die emotionalen Schemata. Sie werden bottom-up automatisch durch relevante Bedingungen ausgelöst (z.B. bei Phobie).
Goschke (1996) nimmt an, dass das Gedächtnis für die emotionale Bedeutung von Ereignissen in der Amygdala gespeichert wird und das Gedächtnis für die Ereignisse selbst im Hippocampus und Neokortex.
289 Izard (1978): Emotion und Kognitionen beeinflussen sich wechselseitig in der Entwicklung besser angepasster Schemata zur Bewertung der Individuum-Umgebung-Beziehung.
Lazarus (1991): Bezug zwischen Emotionen und aktivierten Zielen. Bei Differenzierung der Ziele -> differenzieren sich auch die Emotionen
Ziele sind erwünschte Beziehung zur Umgebung. Emotion entspricht dem transaktionalen Bezug.
Core Relation Themes: Ärger (Angriff gegen mich), Angst (unsichere existenzielle Bedrohung), Furcht (unmittelbare konkrete Gefahr für den Körper), Schuld (Überschreitung moralischer Imperative), Scham (Scheitern am Ich-Ideal), Traurigkeit (Verlust), Eifersucht (drohender Verlust der Zuneigung durch einen Dritten), Ekel (unverdauliches Objekt oder Idee), Glück (Fortschritt in Richtung Zielrealisierung).
291 Lazarus: Kognitiv-motivational-relationale Theorie der Emotionen, starke Emotion <- starke Bedürfnisse.
292 Bewertung der Transaktion mit der Umgebung
1. primäre Bewertung (Zielrelevanz, Zielkongruenz, Ich-Beteiligung = persönliche Werte wie Selbstachtung, Ansehen, moralische Werte, Ich-Ideal, Lebenssinn, Wohlergehen anderer
2. sekundäre: Verantwortlichkeit (Schuld – Verdienst), Einschätzung des Coping-Potentials (Kontroll- und Selbstwirksamkeitserwartungen).
problem-focused und emotion-focused coping
295 Kognitive Bewertungsprozesse können auch unbewusst ablaufen, enthalten meist bewusste Verarbeitungsanteile. Durch reappraisal = Neubewertung können Emotionen beeinflusst werden (Ellis).
296 Veränderung der Emotionen kann entweder durch VT infolge Veränderung der sekundären Bewertung (Selbstwirksamkeit, coping) oder durch motivationale Klärung und einer Veränderung der primären Bewertung und Ziele erreicht werden.
298 Verbindung der Kontrolltheorie mit der Emotionstheorie von Lazarus.
3 Komponenten der Emotion:  Handlungstendenzen (ziel- und emotionsbestimmt, können im Widerspruch zueinander stehen), subjektiv erlebtes Gefühl und physiologische Reaktionen.
Zielbestimmte Handlungstendenzen sollen Wahrnehmungsinkongruenzen beseitigen, die eine negative Emotion auslösen, deren innewohnende Handlungsimpulse gerade zur Verfehlung der Ziele im Sinne der Kontrolltheorie führen würden.
299 Emotionen sind alles andere als ein Epiphänomen, sondern Determinanten des psychischen Geschehens (besonders deutlich bei Borderline).
300 Emotion -> mimische Innervation. Das willkürliche mimische Ausdrucksverhalten unterscheidet sich vom unwillkürlichen, emotional gesteuerten. Die Unterschiede zwischen einem echten und einem vorgetäuschten Lächeln machten Ekman und Friesen (1986) mit dem Facial action coding system (FACS) deutlich.
301 Die Körpersprache unterhalb des Halses ist aussagefähiger für bewusstseinsferne  Intentionen und Emotionen.
Unbewusste Wahrnehmung der nonverbalen Informationen.
302 Echter nonverbaler Ausdruck löst beim Partner reziprokes Verhalten aus Scheflen, 1974) -> biologische Funktion der sozialen Interaktionsregulation.
Patient kann Emotionen, z.B. die Anteilnahme des Therapeuten in dessen Gesicht (zum großen Teil unbewusst) erkennen.
Verschiedene nonverbale Kommunikationskanäle: Mimik, Gestik, Stimmqualität, Sprechweise, Atmung, Haltung und Bewegung von Oberkörper, Unterkörper.
303 Oft sind die nonverbalen Prozesse zu schnell, als dass sie zu bewussten Wahrnehmungen führen könnten (Merten 1996).
Veränderung der nonverbalen Kommunikation ist nur möglich, wenn sie zuvor bottom-up aktiviert wurde.
304 Training von nonverbaler Kommunikation beim Training sozialer Fähigkeiten.
306 Die rechte Hemisphäre hat eine signifikant bessere Decodierfähigkeit für nonverbale Infos.
Auch das Enkodieren von emotionalem Ausdruck geschieht vor allem rechtshemisphärisch. Emotionen werden mit der linken Gesichtshälfte stärker ausgedrückt.
Tucker, 1986: Die linke Hemisphäre arbeitet schwerpunktmäßig digital, d.h. mit einem linguistischen Code, der an die Stelle des sensorisch Erlebten tritt. Dieses Informationsformat hat den Vorteil, das es von einem Gedächtnisbereich zum nächsten, von einem Gehirn zum anderen nach festen und wiederholbaren Regeln weitergegeben und weiterverarbeitet werden kann.
Die überwiegend rechtshemisphärische analoge Informationsverarbeitung hat keinen substituierenden Code, sondern speichert die äußeren und inneren Sinnesqualitäten direkt, konkret ab. Als kontinuierliches Spiegelbild der inneren Verfassung des Senders löst sie im Empfänger unmittelbar korrespondierende affektive Reaktionen aus, während der verbalen Repräsentation eine inherente Distanz zwischen der Semantik und der affektiven Antwort des Empfängers eigen ist. Jedoch keine strenge Trennung zwischen rechts und links.
308 Analoge, nonverbale Verarbeitung entspricht dem implizit-perzeptuellen Gedächtnis von Perrig -> emotional, ganzheitlich, intuitiv.
Digital, verbal, analytisch, rational, konzeptuell.
Überbetonung des Gesprächs, des Inhalts in vielen Therapierichtungen. Therapeuten müssen prozessual wahrnehmen, denken und handeln lernen.
310 Nonverbale Kommunikationsforscher wie Kagan definierten 1971 Empathie als the ability to receive, detect and decode affective information of another.
Dekodierfähigkeit und noch mehr die Enkodierfähigkeit (ein bestimmtes Gefühl eindeutig ausdrücken können) korreliert mit der Patientenzufriedenheit.
311 Patienten sollen zum Patienten hingeneigt sitzen, die Arme offen halten, mit dem Kopf nicken und Gesagtes mit Gesten unterstreichen.
Wichtig: kompetent-professioneller und warmer Tonfall.
In der Supervision sollte über Patienten so geredet werden wie mit ihnen: professionell, kompetent, aber warm, besorgt und ehrlich.
Nach Krause (1997) korreliert das nonverbale Verhalten des Therapeuten mit dem Therapieergebnis.
315 Die Dekodierfähigkeit und Lernfähigkeit für nonverbale Information (Gefühle anderer richtig wahrnehmen können) ist bei Psychiatriepatienten reduziert (Ursache oder Auswirkung ihrer Störung? motivationales Problem oder Fähigkeitsdefizit?).
318 Krause aus Saarbrücken fand heraus, dass der Gefühlsausdruck sich im Gespräch überwiegend auf den Inhalt des gerade Gesagten bezieht und weniger auf die Beziehung zum Gesprächspartner.
320 Wer mit einem Schizophrenen interagiert, passt sich schon nach kurzer Zeit dessen freudlosen Kommunikationsstil an, aber nicht umgekehrt. Bei psychischen Störungen scheint die Fähigkeit verlorengegangen zu sein, das eigene Verhalten flexibel an wechselnde Beziehungssituationen anzupassen.
Das nonverbale Patientenverhalten wirkt wie ein interpersonaler Attraktor, der das nonverbale Verhalten anderer in ein entsprechendes Interaktionsmuster hineinzieht. Scheflen (1974): Der Interaktionspartner wird in eine bestimmte emotionale Verfassung versetzt -> reziproke und oft unbewusste Reaktion.
Krause 1997: Leitaffekt bei Schizophrenen ist Verachtung, bei männlichen Colitispatienten ist Ekel -> Interaktionspartner werden angesteckt oder reagieren reziprok.
Beier bezeichnete schon 1966 die nonverbale Beziehungsregulation zwischen Therapeut und Patient als silent language of PT.
321 Sullivans Schüler Beier: Das nonverbale Beziehungsverhalten des Patienten ist auf Vermeidung der wunden Punkte angelegt -> der Therapeut muss sich unsozial, also nicht reziprok verhalten und darf sich nicht anstecken lassen.
(Die Vermeidungsziele dürfen aber meines Erachtens nicht einfach frustriert werden, sondern müssen als implizite Aufträge metakommuniziert, gewürdigt, verstanden und auf diese Weise behutsam frustriert werden.
323 Störungsspezifische Manuale können die nonverbalen Beziehungsaspekte nicht alle schon mitkonzipiert haben.
Krause: Beste Therapieergebnisse (Korrelation 0,69), wenn Therapeut und Patient schon in der ersten Sitzung nonverbal unterschiedliche Leitaffekte zeigen, weniger gut, wenn beide negative, am schlechtesten, wenn beide positive Affekte zeigen (Anzeichen von Vermeidung der Aktualisierung der Probleme des Patienten) -> Notwendigkeit "unsozial" und nicht reziprok auf implizit unbewusste Konflikte einzugehen.
325 Fallbeispiel Krauses für eine nicht gelungene Thematisierung eines vermiedenen Beziehungskonflikts.
327 Grawe fordert daher eine sorgfältige Vorbereitung der ersten Sitzung und das Einholen von Informationen (z.B. Videos) über das Beziehungsverhalten des Patienten, um nicht in ein ungünstiges Beziehungsmuster hineingezogen zu werden (Ich glaube, bei Beachtung der Gegenübertragung und stellvertretende Introspektion nicht unbedingt notwendig).

Determinanten des Erlebens und Verhaltens

329 Unsere Wünsche sind frei. Sie müssen sich nicht an die Bedingungen der Realität, an Raum, Zeit, das Mögliche und Unmögliche halten. Leider gilt das Glei he für unsere Befürchtungen. Sie gehen weit über das Mögliche oder Wahrscheinliche hinaus.
Unsere Wünsche und Befürchtungen tauchen spontan auf. Sind wir Herr über sie?
330 Unser Ich-Erleben ist blind für den Eigenanteil, mit dem wir Realität herstellen. Bei Wahrnehmungen und Emotionen, die wir erleiden, wird asgeblendet, wie sehr wir sie selbst machen.
331 Dem bewussten Willensakt zu einer Bewegung geht durchschnittlich eine halbe Sekunde bereits ein sog. Bereitschaftspotential voran (Benjamin Libet, 1983). Reizung corticaler (nicht aber subcorticaler) Areale erzeugt den subjektiven Eindruck willentlicher Bewegung (subcortical -> Bewegung ohne Willen oder wider Willen).
Beim Handeln wird uns eine Urheberschaft vorgegaukelt, die es so nicht gibt.
Unser Ich-Erleben ist eine emergente Erlebnisqualität neuronaler Prozesse wie der Geschmack von Zitronenlimonade. Es ist nicht Herrscher oder gar Urheber dieser Prozesse, sondern ihr Produkt.
332 Unbewusste Wünsche und Befürchtungen nennt Grawe Annäherungs- und Vermeidungsintentionen.
Intentionen als diejenigen neuronalen Prozesse, die der übrigen neuronalen Aktivität eine bestimmte Ausrichtung geben und das daraus resultierende Verhalten energetisieren, können subjektiv als bewusstes oder unbewusstes Wünschen oder Wollen in Erscheinung treten. Bewusste Intentionen zeigen dabei eine andere neuronale Erregungscharakteristik als unbewusste. Die besonderen funktionalen Möglichkeiten bewusster Wahrnehmung und Steuerung resultieren aus den spezifischen Erregungsmustern und nicht aus der subjektiven Erlebnisqualität.
335 Es gibt weder anatomisch noch funktionell die zentrale Steuerungsinstanz (des Ich oder Selbst oder eine Steuerungszentrale wie im Strukturmodell des psychischen Regulationssystems nach Becker, 1995) noch "das" Unbewusste als Instanz.
337 Wesentliches (nonverbales) Schema von Anfang an: im Kontakt mit der Mutter sein.
338 Ob wir uns spontan zu jemanden hingezogen fühlen, hängt wahrscheinlich davon ab, inwieweit früh angelegte, unbewusste interpersonale Schemata bottom-up aktiviert werden.
Ausdifferenzierung der frühen motivationalen Schemata -> Wahrnehmungen, Handlungen, Emotionen und Ziele (mit immer mehr Unterzielen) -> entsprechende motivationale Bereitschaften. Intentionen binden alles zu einer Funktionseinheit zusammen.
339 Motivationale Schemata entwickeln sich um zentrale Bedürfnisse herum. Ihre Zielkomponenten sind von Anfang an durch (neuronal repräsentierte) Umgebungsbezüge definiert.
Intentionalität ist die vielleicht wichtigste Grundqualität des psychischen Geschehens.
340 Motivationale Attraktoren (Schemata), semiautonome emotionale Attraktoren, Störungsattraktoren (die Störung ist ein emergentes Phänomen mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, die störungsspezifische Maßnahmen erfordert) und interpersonale Attraktoren als Hauptdeterminante des psychischen Geschehens.
341 Der Hauptanwendungsbereich von PT liegt dort, wo Menschen gegebene Glücksmöglichkeiten wegen ihrer eigenen motivationalen Schemata nicht wahrnehmen oder ihr Unglück selbst erzeugen.
343 Grenberg, Rice und Eliott definierten 1993: Ein emotionales Schema ist eine unbewusste, bedürfnis-, ziel- und handlungsorientierte funktionale Einheit, die eine flexible, aber planvolle Interaktion mit der Information aus der Umwelt ermöglicht. Ein Schema strukturiert die Wahrnehmung, die Erfahrung und Antwort auf die Welt. Es verändert sich durch Akkomodation an neue Erfahrungen.
344 PT muss auf die Struktur der emotionalen Erfahrung von Selbst-in-der-Welt-Sein (self-in-the-world-emotion-schemes) eingehen, und zwar in einer Kognitionen, Affekte, Motivation und Beziehungsverhalten integrierenden Weise (wie Lazarus).
Im Gegensatz zum bewältigungsorientierten Lazarus betont aber - trotz großer theoretischer Übereinstimmung - der humanistische Greenberg den Klärungsaspekt.
Die Aktivierung unbewusster emotionaler Schemata zeigt sich in der PT in Form eines Gefühls von Inadäquatheit (ich fühle mich schlecht oder ich weiß nicht warum ich mich so verhalten habe).
345 Schemata = need related action tendencies, die unser core sense of experienced self beeinflussen.
Stern, 1985: Das Selbst wird durch frühe, affektiv getönte expressive und sensomotorische Muster, die innerlich in emotionalen Schemata repräsentiert sind, begründet.
346 Im frühen Lebensalter sind motivationale und emotionale Schemata noch nicht unterschieden -> Affekt = Motivation.
Im emotionalen Schema ist die erlebte Situation, der Stimulus, die Bewertung hinsichtlich des Bedürfnisses, die affektive Antwort auf die bewertete Situation und die Attribuierung über das Selbst in der Situation repräsentiert.
Greenberg: emotion emerges as a function of appraisal of macht/mismatch between situations and need, goals or concerns, and our appraisal of our ability to cope with the situation.
347 Greenberg fordert Bewusstmachung der emotionalen Schemata und ihre Restrukturierung. Der Patient soll Aufmerksamkeit auf die echten Emotionen lenken und diese zulassen lernen.
Aufrechterhaltung von dysfunktionalen Schemata durch
1. selektive und verzerrende Wahrnehmung
2. Vermeidung neuer Erfahrung und der Konfrontation mit problematischen Emotionen durch abstrakte, konzeptuelle Informationsverarbeitung, die den Zugang zum impliziten Gedächtnis versperrt (keine bottom-up-Aktivierung emotionaler Schemata)
3. totale Besetzung der Verarbeitungskapazität durch aktivierte Schemata, so dass keine weiteren Informationen verarbeitet werden können, die das Schema korrigieren könnten.
348 Wirkfaktoren von PT nach Greenberg:
1. Sicherheit und Aufgehobensein in der Therapiebeziehung macht Verarbeitungskapazität frei.
2. Fokussierung auf die unmittelbare innere emotionale Erfahrung und nicht auf verbale Inhalte.
3. nonverbale Übungen zur bottom-up-Aktivierung von emotionalen Schemata und des impliziten Gedächtnisses
4. Ermunterung des Patienten, sich realen Angstsituationen auszusetzen -> neue Erfahrungen -> Umstrukturierung
5. Ausdruck von Gefühlen in Situationen, in denen der Patient diese noch nie ausgedrückt hat, z.B. Gespräch mit toten Elternteil, Kennenlernen der eigenen Vermeidungsmechanismen
6. korrigierende Erfahrungen in der Hier-und-Jetzt-Interaktion mit dem Therapeuten.
349 Wenn starke Emotionen ausgelöst werden, bedeutet das nach der Emotionstheorie von Lazarus, dass die Zielkomponente des betreffenden Schemas stark aktiviert wurde.
Ziel nach Grawe: Förderung und Einübung der bewussten Handlungskontrolle  u n d  die Assimilierung möglichst vieler neuer Erfahrungen in unterschiedlichen realen Situationen an das neue, bewusste Handlungsschema, das durch reflektierende Abstraktion (Piaget, 1976) herausgebildet wurde -> Bahnung neuer neuronaler Erregungsmuster.
Eine bewusste Zielorientierung anstelle unbewusster Intentionen.
352 Beziehungsschema oder interaktionelles Schema nach Grawe: Aktivierung eines Schemas bedeutet Ausrichtung der psychischen Aktivität in Richtung Wahrnehmungen im Sinne der Zielkomponenten (erwünschte Bezüge des Individuums mit seiner Umwelt = core relational themes nach Lazarus) des Schemas.
354 Reliable Methoden zur Erfassung von Beziehungsschemata sind die Role Relationship Models von Horowitz (1989) und das Core Conflictual Relationship Themes von Luborsky (1990).
Grawes Schema-Analyse versucht v.a. die Vermeidungsschemata zu erfassen.
356 Motivationale Schemata entwickeln sich um die Grundbedürfnisse herum -> zunehmende Erfahrung -> mehr Unterziele und Fähigkeiten zur Realisierung des Oberzieles -> mehr Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung -> reich ausgestaltete motivationale Schemata sind Grundlage guter seelischer Gesundheit.
Motivationale = intentionale (intendere = anstreben) oder Annäherungsschemata an angeborene Bedürfnisse oder durch Identifizierung sozial erworbene Werte.
Negative Emotionen entstehen aus der Inkongruenz von Soll- und Ist-Wert der Bedürfnisse und bereiten den Nährboden für psychische Störungen.
356 Therapie muss sich daher neben störungsspezifischen Maßnahmen auch mit der besseren Intentionsrealiserung befassen.
Weiterentwicklung unterentwickelter intentionaler Schemata ist harte therapeutische Arbeit, da Patienten hohe Erwartungen haben und wenig geben können -> cave Gegenübertragung.
357 Asoziale, nonverbal nicht-reziproke Reaktion auf den Patienten (Udo: z.B. freundlich lächelnd, zugewendet mit Gegenübertragung konfrontieren).
Flucht, Abwehr und Vermeidung gehören zum überlebenswichtigen Grundrepertoire jedes Organismus.
Neuronale Erregungsmuster zur Vermeidung der Wahrnehmung von Ist-Soll-Inkongruenzen (negatives Ziel) und der damit verbunden negativen Emotionen im Sinne der Kontrolltheorie.
Gleichzeitigkeit von annähernden udn vermeidenden Tendenzen.
358 Vermeidungsschemata beeinflussen neben Wahrnehmung, Verhalten und Erleben auch Gedanken und andere Kognitionen, die aktiv gebahnt oder - wenn sie nicht mit den Zielkomponenten vereinbar sind - gehemmt werden.
359 Wenn die Vermeidungsziele unbewusst repräsentiert sind, ist das wichtige Mittel der Kontrolle über die bewusste Aufmerksamkeit unwirksam.
Kognitionen haben eine Repräsentationsfunktion und eine Interpretationsfunktion. Je größer der interpretierendeAnteil, desto weniger wirksam die Handlungskontrolle aufgrund unzutreffender Prämissen.
Durch Richten der Aufmerksamkeit auf innere Prozesse sollen neue Bewusstseinsinhalte geschaffen werden, die diese Abläufe zutreffend repräsentieren.
360 Die Veränderung von Vermeidungsschemata (z.B. Exposition bei Phobie) kann nur gegen den Widerstand von Vermeidungszielen erfolgen. Daher müssen gleichzeitig konkurrierende Annäherungsintentionen durch Ressourcenaktivierung gestärkt werden.
361 PT wirkt durch Abschwächung von motivationalen Vermeidungsschemata und Förderung von positiven intentionalen Schemata.
362 Konfliktschema: intentionale Komponente (z.B. Unabhängigkeit) aktiviert automatisch die Vermeidungskomponente (Schuldgefühle, "lass uns nicht allein"), aufgrund der nicht befriedigten Bedürfnisse negative Emotionen (z.B. Wut auf die Eltern), welche die Intentionskomponente noch stärker hervortreten lassen -> neuronale Erregungsschaukel.
363 Therapie: Bewusstmachen der Vermeidungskomponente und bei ihrer Aktivierung müsste die intentionale Komponente aktiviert werden statt umgekehrt. Dazu müssten die Schuldgefühle mit allen einschränkenden Konsequenzen des Vermeidungsschemas aktiviert werden, bis sie die mit Wut verbundene Unabhängigkeitsreaktion hervorrufen und neue Erfahrungen (Ausbleiben der befürchteten Konsequenzen) schaffen. Auch das soziale Umfeld würde neue Erfahrungen machen.
365 Unkontrollierbarkeit von aversiven Ereignissen gehört für Menschen zu den traumatisierendsten Erfahrungen, die sie am stärksten zu vermeiden trachten. Das ganze psychische Funktionieren ist nach Kelly (1957) auf Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit ausgerichtet. Schutz gegen ein unberechenbares elterliches Beziehungsverhalten durch Rückzug aus einer ungeschützten Intimität. Vermeidungsziel: Nicht in meinen Nähewünschen zurückgewiesen und enttäuscht zu werden -> gleichzeitige Aktivierung sowohl des intentionalen als auch des Vermeidungsschemas.
366 Unbewusstes, inkonsistentes Kommunikationsverhalten z.B. durch verbale Nähewünsche und nonverbale Vermeidungssignale oder ein Teil des nonverbalen Verhaltens zeigt Nähewunsch, anderer Teil zeigt Vermeidung.
Gedächtnisblind für die Ursachen eines inkonsistenten Erlebens und Beziehungsverhaltens.
379 Für Epstein (cognitive-experiential self theory = cest, 1990, 1991) ist der Normalzustand psychischer Aktivität die Gleichzeitigkeit impliziter/intuitiver und bewusst/rationaler Prozesse.
380 Enge Verbindung des impliziten Funktionsmodus mit Emotionen und biologischen Prozessen wie das Immunsystem.
PT sollte sich die Techniken, die neuronale Prozesse in den phylogenetisch älteren Hirnteilen und damit das implizite System stärker aktivieren als verbal-rationale Techniken, also Religion, Astrologie, Esoterik, die Illusion der Kontrolle des Weltgeschehens durch Rituale, Magie, Gebet, gemeinsames Singen, zu Nutze machen.
381 Epstein konzipiert das Selbst als persönliche Realitätstheorie mit deskriptiven Postulaten (Vorstellungen über sich und die Welt) und motivationalen Postulaten/Schemata (was man tun und vermeiden muss, um seinen Bedürfnissen gerecht zu werden - entsprechend den übergeordneten Sollwerten der Kontrollhierarchie von Powers).
Das eigentliche, das implizite Selbst (im Gegensatz zum Selbstbild des konzeptuellen Systems, das keinen Einfluss auf das Verhalten und Erleben  haben muss) ist nach Epstein die Summe der motivationalen Schemata, seiner Überzeugungen über sich und die Welt, seiner Erwartungen und Bereitschaften.
Der Organismus als evolutionär entstandene Theorie über die Realität oder Welt.
382 Das Selbst ist keine eigene psychische Instanz, kein Homunculus, kein steuernder Akteur, sondern Ausdruck, Ergebnis dessen, dass alle Postulate und Schemata eine Einheit bilden. Das Selbst gibt keine Sollwerte vor, diese resultieren aus den zu Schemata differenzierten Grundbedürfnissen (hier ist ein Unterschied zu Powers Kontrolltheorie, die als höchste Ebene das Selbst annimmt).
383 Grundbedürfnisse als oberste Sollwerte der psychischen Aktivität.
Motivationale Schemata sind das Produkt von Bedürfnissen und der Beschaffenheit der Lebensumgebung.
Deskriptive Schemata: erworbenes Wissen über sich selbst = Selbstmodell und entsprechend Weltmodell.
384 Grundbedürfnisse nach Epstein: Orientierung/Kontrolle (entspricht ziemlich genau Antonowskys sense of coherence), Lust/Unlustvermeidung, Bindung und Selbstwerterhöhung.
386 Notwendigkeit von Konsistenz = einheitliche Ausrichtung psychischer Prozesse -> Funktionieren.
Kontrollbedürfnis bezieht sich auch darauf, zukünftig möglichst viele Handlungsmöglichkeiten zu haben.
388 Powers Kontrolltheorie setzt das Bedürfnis nach Kontrolle unausgesprochen voraus.
Psychische Störungen verletzen immer das Kontrollbedürfnis.
Kontrollbedürfnis verlangt nach bewältigungs- und klärungsorientierten Therapiemaßnahmen: Kontrolle durch mehr Kompetenz und Kontrolle durch besseres Verstehen (compehensibility und managebility).
389 Es geht nicht darum, dass der Patient einen bestimmten Inhalt versteht, sondern dass er das Gefühl hat, etwas verstanden zu haben (-> Peseschkians Frage: was hat sie heute angesprochen?)
Henry et al. 1994: Therapeuten, die Patienten zu einer bestimmten Einsicht verhelfen wollen, überfordern ihn und lassen ihn gerade weniger Kontrolle erleben. Sachse (1992) fordert daher eine zielorientierte Gesprächspychotherapie, die nah man Kern des vom Patienten Gemeinten dranbleibt -> Therapie der kleinen Schritte. 390 Es ist wichtiger, dass der Patient Verstehenserfahrungen macht, als was er versteht.
Personen mit hohen internalen Kontrollüberzeugungen haben eine höhere Lebenszufriedenheit und sind resistenter gegen Stress.
391 Gerade Dinge, die einem besonders wichtig sind, machen besonders empfindlich gegen Kontrollverlust und lösen ggf. ein kontraproduktives Verhalten aus.
392 Pawlovs Versuch mit Hunden zur diskrimativen Konditionierung: Hund lernte auf Ellipse so und auf Kreis anders zu reagieren. Bei Annäherung von Kreis und Ellipse bis zur Ununterscheidbarkeit geriet der Hund in einen gequälten Erregungszustand = experimentelle Neurose.
Seligman und Maier, 1967: gelernte Hilflosigkeit durch Aussetzung der Versuchstiere und -personen mit unkontrollierbaren unangenehmen Reizen -> Überzeugung, keinen Einfluss auf die aversiven Reize zu haben -> Depression. In diesem Zustand nahmen die Probanten die objektiv vorhandenen Kontrollmöglichkeiten nicht mehr wahr.
393 Lustgewinn und Unlustvermeidung als Hauptantrieb haben die Freudianer und Behavioristen gemeinsam.
Wer seine Kindheit die Umgebung als Quelle von Lust erfahren hat, wird optimistische Erwartungen an das Leben richten und auch die notwendigen Ziele und Fähigkeiten entwickeln, dass sich die Erwartungen bestätigen.
394 Wiederkehrende posttraumatische Angstträume erklärt sich Epstein nicht wie Freud aufgrund eines Todestriebes, sondern als andauerndes Bemühen und Scheitern, die Erfahrungen mit der Realität an die eigenen impliziten Schemata einer einigermaßen guten, sicheren und kontrollierbaren Welt zu assimilieren.
Drei Verarbeitungsmöglichkeiten: 1. Abspaltung/Dissoziation, 2. Akkomodation der positiven Schemata zu der Überzeugung einer schlechten Welt (bedingt progrediente Verschlechterung des psychischen Zustands) und 3. Trauerarbeit.
Drei Postulate Bowlbys zur Bindungstheorie:
1. Vertrauen auf die zuverlässige Verfügbarkeit einer Bindungsfigur reduziert die Furcht.
2. Vertrauen oder fehlendes Vertrauen entwickeln sich in der Kindheit und bleibt für den Rest des Lebens relativ unverändert.
3. Tatsächliche Bindungserfahrungen und Erwartungen (inneres Arbeitsmodell entspricht Grawes Beziehungsschemata und Horowitz Role Relationship Models) stimmen ziemlich genau überein.
Das innere Arbeitsmodell ist zwar veränderbar, stabilisiert sich aber durch die in seinem Sinne gemachten selektiven Erfahrungen (Schmidt und Strauss, 1996).
Ungünstig: konsistent der inkonsistent-unvorhersehbar mangelnde Verfügbarkeit und/oder Feinfühligkeit der Bindungsperson -> Entfremdung oder übermäßige Abhängigkeit.
400 Die von Generation zu Generation präverbal weitergegebenen Beziehungserfahrungen und -muster sind völlig unbewusst und ausschließlich im impliziten Gedächtnis gespeichert. Sie werden andauernd bottom-up aktiviert.
401 Collins und Read (1990): Untersuchung des Zusammenhangs von Bindungsmustern und Beziehungsqualität. Untersuchte Dimensionen: Nähe, Angst und Vertrauen. Für die Beziehungsqualität besonders wichtig: Zulassen von Nähe und Angst vor Verlassenwerden. Drei Typen: sicher = wenig Angst, viel Nähe; ängstlich vermeidend (entspricht Grawes negativen emotionalen Schema): wenig Nähe, viel Angst (Aktivität dient nur noch dem Schutz vor Verletzung); ambivalent: viel Nähe, viel Angst.
404 Wenn jemand etwas nicht tut, kann es daran liegen, dass er kein motivationales Schema entwickelt hat, oder an einem Vermeidungsschema. Dann hat das Nicht-Tun einen aktiven Charakter.
405 Das aus dem Interpersonalen Kreismodell von Leary (1957) abgeleitete Inventar Interpersonaler Probleme IIP von Horowitz, Strauss und Kordy (1994) hat auf der senkrechten Achse oben Dominanz/Kontrolle, unten Submission/Abhängigkeit, waagrecht links negativer Affekt/Abweisung (Patienten stellen wenig Nähe her und lassen wenig zu -> V.a. unsicheres Bindungsmuster), rechts Expression positiver Affekte.
407 Die Beurteilung des Bindungsmusters hat die therapeutische Relevanz, dass sich die Frage stellt, was aus seinem Bindungsbedürfnis geworden ist.
Todt (1995): Wichtigkeit einer sicheren Bindung für die soziale Entwicklung auch bei anderen Primaten.
Bindungsverhalten wird über das limbische System gesteuert (impliziter Regulationsmodus) -> physiologische Prozesse -> Risikofaktoren, Psychosomatik.
409 Keine eindeutig spezifischen Korrelation von der Art der Bindungsstörung und der Art der Störung. Aber psychische Störungen gehen fast immer mit einem unsicheren Bindungsmuster und Verletzung von Bindungsbedürfnissen einher.
410 Depressive Störungen gehäuft bei unsicher ambivalenten, Esstörungen gehäuft bei unsicher vermeidenden Bindungsmuster.
Bindungsforschung belegt die Bedeutung der Veränderung des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens für eine dauerhafte Besserung der Störung. Die interpersonale Perspektive ist genauso wichtig wie die Störungsperspektive.
411 Der Therapeut ist gezwungen, mit seinem eigenen Beziehungsverhalten implizit zum Beziehungsverhalten des Patienten Stellung zu nehmen. Darin liegt eine große Möglichkeit von PT (Aktivierung der intentionalen und vermeidenden Schemata auf der impliziten Beziehuungsebene). Bei Patienten mit sehr unbefriedigenden Beziehungen entscheidet sich der Therapieerfolg v.a. auf der Beziehungsebene, ohne dass zwangsläufig alle Prozesse bewusst werden müssen. Bewusstwerdung ist mitunter erst das Ergebnis von Veränderungen.
Therapeuten müssen Beziehungsexperten sein.
413 Das Ausführungsorgan der Bedürfnisse sind die intentionalen Schemata, die auch der Umgebung Rechnung tragen. Solche Schemata können sich nicht entwickeln, wenn die Versuche des Kindes, durch sein Verhalten bedürfnisbefriedigende Reaktionen zu bewirken, vergeblich sind. Stattdessen entwickeln sich Vermeidungsschemata hinsichtlich der mit der Frustration verbundenen negativen Emotionen. Es sieht so aus, als sei das Verhalten aktiv auf einen Sollzustand ausgerichtet, der mit dem Grundbedürfnis, z.B. nach Selbstwerterhöhung, unvereinbar ist. Der Gewinn liegt in der Befriedigung anderer Bedürfnisse wie Vermeidung von Schmerz, Erhaltung von Bindung, Kontrolle und Konsistenz (Aufrechterhaltung selbst eines negativen Selbstbildes = self verification) -> notwendige Unterscheidung zwischen kontextabängigen Zielen und Grundbedürfnissen.
416 Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl bewerten sich selbst ud fremde schlecht, Personen mit ähnlichen Merkmalen wie sie selbst aber als gut. Menschen mit hohem Selbstwertgefühl beurteilen ihre eigenen Leistungen positiver als die der anderen. Ihre Selbsteinschätzung wird auch nicht besser, wenn man sie glauben macht, sie hätten ähnliche Eigenschaften wie sehr attraktive Personen, was bei Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl zu einer Selbstaufwertung führt (Brown et al 1992).
Swann et al (1990) bestätigen die Auffassung von Epstein und Morling (1995), dass das implizite System spontan zur Selbstwerterhöhung neigt (unter Zeitdruck wählen Menschen mit niedrigen Selbstwertgefühl zuvor positiv bewertete Partner), das rationale System zur Konsistenzerhaltung, wodurch Übereinstimmung zwischen früheren Erfahrungen und der aktuellen Wahrnehmung hergestellt wird (wenn mehr Zeit ist, wählen Selbstwertschwache vorher negativ bewertete Partner).
417 Epstein und Morling (1995): Wenn viel Zeit ist, wählt man einen Partner, den man etwas, aber nicht viel besser beurteilt als sich selbst.
Vielleicht entscheidet das implizite Selbstwertgefühl, was jemand in realen Situationen wirklich tut, und nicht seine Selbstbeurteilung in einem Fragebogen (der ja nur das im konzeptuellen Gedächtnis gespeicherte Selbstbild erfasst.
Therapeutische Konsequenz: Implizite Einflussnahme auf das Selbstwertgefühl.
418 Positive Illusionen (Selbstwert, Kontrolle, Optimismus) sind Korrelat seelischer Gesundheit. Nur Depressive haben diese nicht.
421 Konsistenzprinzip ist kein Grundbedürfnis oder Motiv, sondern aus der Systemperspektive eine grundlegende Anforderung für das Funktionieren und die Stabilität eines Systems. Konsistenz ist menschliches Glück, "mit sich und der Welt eins sein", als Ganzes funktionieren, der Gegenpol von Konflikt, Dissonanz und Dissoziation. Inkonsistenz bereitet seelisches Leiden.
422 Konsistenz ist ein kontinuierlich aktiv hergestelltes Merkmal unseres Bewusstseins, und zwar simultane Konsistenz und Kohärenz über die Zeit. Selbst bei Unterbrechung der Hirnaktivität, z.B. bei Apnoe oder kleinen epileptischen Anfällen, besteht subjektiv kein Bewusstsein für diese Filmrisse, weil das Gehirn künstlich eine Kontinuität des Bewusstseinsstroms herstellt.
Festingers Kognitive Dissonanztheorie (1957): Die Tendenz zur Dissonanzreduktion ist um so stärker, je wichtiger das Nebeneinander inkonsistenter Kognitionsinhalte für das Individuum ist.
Grawe: Konsistenz der von den motivationalen Schemata bestimmten psychischen Prozesse.
Einige Postulate der Dissonanztheorie: Kognitive Dissonanz kann nur durch neue Kognitionen (wenn sie das Gewicht einer Seite erhöhen oder die Bedeutung bestehender Kognitionen verändern und so die Dissonanz zugunsten einer Seite vermindern) oder die Veränderungen bestehender reduziert werden. Wenn das nicht gelingt, muss Verhalten (z.B. Suche nach neuen Informationen) aktiviert werden, dass kognitive Konsequenzen hat.
424 Abwehrmechanismen = Schemata zur Dissonanzreduktion
425 Es kommen weitere Mechanismen zur Disonanzreduktion dazu: Emotionales und problemorientiertes Coping sowie das Nichtzulassen, Ausblenden, Fernhalten von Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken = Verdrängung (englisch repression).
427 Posttraumatische Belastungsstörung wird von Epstein erklärt durch die Inkongruenz von Wahrnehmungen mit bestehenden Grundüberzeugungen. Bei lang anhaltenden und schweren Traumata kann keine Assimilation des Erlebten und Ablage im Gedächtnis erfolgen. Es drängt sich immer wieder dem Bewusstsein auf (dringender, aber frustraner Assimilationsbedarf). Schließlich kommt es zur Akkomodation der Grundüberzeugungen -> Angst, Vertrauensverlust, Herabsetzung des Selbstwertgefühls, Ohnmachtsgefühl.
428 Abspaltung und Verdrängung zur Konsistenzsicherung. Aber das die verdrängte Wahrnehmung repräsentierende neuronale Erregungsmuster bleibt im impliziten Funktionsmodus aktiv, ist jedoch nicht Teil des konzeptuellen Gedächtnisses und somit dem Bewusstsein nicht zugänglich.
429 Normale Verdrängung durch einen Konsistenzwächter an der Schwelle zum Bewusstsein.
430 Annäherungs-Annäherungs-Konflikte, Annäherungs-Vermeidungs-Konflikte und Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikte.
Der implizite Funktionsmodus hat eine viel größere Inkonsistenztoleranz als das Bewusstsein -> häufig gleichzeitige nonverbal widersprüchliche Informationen (z.B. Neugier und Schutz).
431 Inkonsistenz zwischen impliziten und expliziten Modus möglich. Aber je größer die Diskrepanz oder mehr noch eine Dissoziation der ablaufenden Prozesse, desto weniger wirksam sind sie hinsichtlich der Zielverfolgung des bewussten Funktionsmodus.
433 Langfristig führt Verdrängung fast zwangsläufig zu mehr Inkonsistenzspannung.
Krankheit als neues Ordnungsmuster neuronaler und psychischer Aktivität, um einen Zustand dissoziierter Prozesse, Instabilitiät und geringer Zielorientierung zu stabilisieren. Diese neue Ordnung ist jedoch nicht mehr auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet, sondern auf Prozesse, die ein inneres Eigenleben zu führen beginnen.
Repressors sind habituelle, die sich selbst als unbeeinträchtigt darstellen, aber hohe Defensivitätswerte in Fragebogenskalen aufweisen, die eine Selbstdarstellung im Sinne sozialer Erwünschtheit  erfassen. Auseinanderklaffen ihrer Selbstdarstellung, ihres nonverbalen Verhaltens und ihrer physiologischen Reaktionen -> Risikopotential für viele Krankheiten.
434 Schwartz (1990) und Weinberger (1990) zeigten, dass habituelles Verdrängung, das Weglenken der Aufmerksamkeit von der Diskrepanz von Ist- und Sollwert, die für seelische Rückkoppelngs- und Selbstregualtionsprozesse essentiell ist, zu neuropsychologischer disconnection und biologischen, psychologischen und sozialen Störungen führt.
Die Existenz eines unbewussten Funktionsmodus und eines Filters zwichen bewussten und unbewussten Vorgängen ist nicht nur eine psychoanalytische Annahme, sondern ein empirisch gesichertes Phänomen.
436 Williams et al. (1988): Angststörungen entstehen durch eine implizite, durch priming entstandene erhöhte Bereitsschaft, bedrohliche Reize aus dem breiten Reizangebot präattentiv bevorzugt wahrzunehmen (sie scannen ihre Umgebung gleichsam nach bedrohlichen Reizen ab). Wahrnehmung und die interpretierende kognitive Verarbeitung erfolgen nicht getrennt und nacheinander, sondern der Angstkranke fühlt den Schmerz in der Brust direkt und sofort als Herzanfall (positiver Rückkoppelungsprozess).
437 Depressive unterscheiden sich präattentiv nicht von Gesunden. Sie verwenden mehr Kapazität für die Verarbeitung bewusst wahrgenommener Inhalte -> starke Encodierung und leichte Abrufbarkeit depressiver Inhalte ins Bewusstsein (positive Rückkoppelung).
438 Kausale Faktoren führen zur Ausbildung neuer neuronaler Verbindungen und systemischer Strukturen, die auch ohne Fortwirkung der ursprünglichen Kausalfaktoren krankmachende Prozesse unterhalten. Die Bewusstmachung und gezielte Veränderung der aktuellen impliziten Prozesse und Strukturen ist wirksamer als die (immer hypothetisch-spekulative) Rekonstruktion der ursprünglichen Kausalfaktoren -> Primat störungsspezifischer Therapiemaßnahmen.
439 Funktionsmodell I des psychischen Geschehens (hierarchisch von oben nach unten):
1. Systemanforderung: Konsistenz -> top-down- Aktivierung der
2. Bedürfnisebene: Kontrolle, Lust, Bindung, Selbstwert (parallel-simultan aktiviert) ->
3. Motivationale Schemata: Intentional, Konflikt, Vermeidung -> Rückmeldung über Bedürfnisbefriedigung an 2. und Konsistenz an 1.
4. Realisierungsebene (Übersetzung der motivationalen Schemata in Verhalten) -> Rückmeldung über Realiserung und bottom-up-Aktivierung an 3.
441 Funktionsmodell II:
1. Bedürfnisse -> states (kurzfristig wirksam) und traits (langfristig habituell wirksam) beeinflussen
2. emotionale und motivationale Schemata -> Konsistenz-Check/Filter -> bewusstes Wahrnehmen, Denken und Handeln oder implizites Wahrnehmen und Verhalten
3. Realisierungsebene mit vier Rückkoppelungsschleifen zu a) dem impliziten Wahrnehmen und Verhalten, b) dem bewussten Wahrnehmen, Denken und Handeln, c) assimilierend zu den Emotionen, d) akkomodierend zu den motivationalen Schemata
4. Ich-Gefühl -> Überzeugungen (Selbst- und Weltbild)
Heckhausen: Wünschen, Wählen und Wollen sind nur die oberste dünne Decke, oben auf einer Reihe basaler Motivationssysteme, die seit Jahrmillionen entstanden sind.
445 Ressourcenaktivierung: Je mehr es in der Therapie gelingt, positiv zu bewertende neuronale Erregungsmuster zu aktivieren, um so besser werden sie gebahnt, um so häufiger können sie zukünftig auftreten und Einfluss auf das Erleben und Verhalten gewinnen.
Eine Bahnung der positiven Komponente eines Konfliktschemas erfolgt z.B., wenn der Therapeut den Beziehungstest besteht.
Wichtiges Ziel von Therapie ist die Schwächung problematischer Schemata und deren Akkomodation dadurch, dass der Patient keine Wahrnehmung im Sinne z.B. seiner Vermeidungsziele machen kann. Die damit verbundenen negativen Emotionen fördern die Bewusstheit und die reflektierende Abstraktion im Sinne Piagets sowie neue neuronale Bahnungen.
Therapeutischer Ansatz auf der Realisierungsebene: a) Aktivierung neuronaler Erregungsmuster, b) das Lenken der bewussten Aufmerksamkeit dahin, wo es was Neues zu lernen gibt, c) aktiviertes Schema bestätigen und d) Akkomodation = den Patienten mit nicht assimilierbaren Rückmeldungen konfrontieren.
457 Emergenz: Ordnungsmuster, die aus den Ausgangseigenschaften nicht voraussagbar gewesen wären, die sich aber durch positive und negative Rückkoppelung aus den Ausgangseigenschaften ergeben.
461 Attraktor: Ordnungszustand, zu dem ein System unter der Wirkung von Kontrollparametern hintendiert und der die Systembestandteile versklavt.
462 Dissipative Strukturen sind dynamische (nicht stationäre) Ordnungszustände, denen ständig von außen Energie oder (bei psychischen Systemen) Information zugeführt werden muss.
476 Konsistenz
1. extern = Außenanpassung = Kongruenz
2. intern = Binnenregulation = Konkordanz
Streben nach Konsistenz bzw. Reduktion von Inkonsistenz -> Streben nach Kongruenz und Konkordanz bzw. nach Reduktion von Inkongruenz und Diskordanz.
These: Psychische Ordnungsmuster werden in der Ontogenese selektioniert, wenn sie die Inkonsistenzspannung reduzieren. Eine Selektion setzt das neuronale Muster motivationaler Schemata (oder Attraktoren) und das der Fähigkeiten, also ebenfalls in der ontogenetischen Entwicklung gebahnter Erregungsbereitschaften, voraus.
Psychische Ordnungsmuster umfassen also immer den motivationalen und den Fähigkeitsaspekt, denn ohne Fähigkeit kann nichts selektioniert werden.
477 Eine neuronale Gruppe, die durch reentrant mapping und differentielle Verstärkung gebildet wird, kann auch als Attraktor gesehen werden.
478 Attraktoren haben im psychischen Geschehen die Funktion, Bedürfnisspannung oder Inkonsistenz abzubauen.
479 Feldtheorie Lewins (1926... 1951): Die verschiedenen Teile des Lebensraumes haben einen Aufforderungscharakter = Valenz an das Individuum. Die Wirksamkeit von Handlungen ist umso größer, desto tiefer die Quasi-Bedürfnisse in echten Bedürfnissen verankert sind.
Entwicklungsraum = ein um die Zeitdimension erweiterter Lebensraum.
481 Der Neodarwinismus geht von Darwins optimal fit als Selektionsprinzip ab. Die Wahl erfüllt bestimmte constraints (z.B. Fähigkeiten des Individuums, seine Ziele, Vorgeschichte, situative Bedingungen) -> Kontrollparameter.
Die Wahl setzt Variabilität der Kontrollparameter => Freiheitsgrade -> Fluktuationen und Phasen erhöhter Instabilität voraus. Durch positive Rückkoppelung wird aus der Fluktuation ein neuer stabiler Attraktor.
482 Beispiel des Attraktors Rennen, um von einem Ort zum anderen zu kommen -> Atemnot, Schmerzen -> neuer Attraktor Gehen.
483 In psychischen Systemen wirken die Attraktoren auf die Kontrollparameter, die sie aktiviert haben, zurück -> neuer Attraktor oder Aktivierung eines bekannten -> Erklärung dafür, dass psychische Systeme ihr Verhalten von selbst ändern und neue Systemzustände entwickeln.
Die Wechselwirkung von Kontrollparametern und Ordnungsparametern = Attraktoren ist die Grundlage für die Veränderung und Entwicklung psychischer Prozesse.
484 Unterschied zwischen psychischen und physikalischen Systemen: Gedächtnis = neuronales Erregungsmuster, das einmal unter bestimmten Kontrollparametern entstanden ist und veränderte synaptische Verbindungsgewichte hinterlässt -> funktionelle Autonomie von Entstehungsbedingungen.
485 Psychische Störungen sind neue autonom gewordene Ordnungszustände der psychischen Aktivität = ursprünglich geeignete Mittel zur Spannungsreduktion, die aber möglicherweise von ihren Entstehungsbedingungen (die durch die Veränderung der Lebenssituation irrelevant geworden sind) abgekoppelt sind. Dafür haben sie durch Synchronizität oder reentrant mapping zu allen möglichen anderen Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen Verbindungen hergestellt.
Die gegenwärtigen Aktivierungsmöglichkeiten (z.B. bei der Agoraphobie sind es die Komponenten der Störung selbst -> Vermeidungsverhalten, Reaktions- und Selbstwirksamkeitserwartungen, physiologische Komponenten) sind als die entscheidenden Kontrollparameter der Störung anzusehen, die in der Therapie gegenwartsbezogen verändert werden müssen. Der aktuelle Störungsattraktor muss destabilisiert werden.
487 Im seelischen Geschehen sind gleichzeitig viele Attraktoren aktiv, die wechselseitig füreinander constraints und Kontrollparameter darstellen.
488 Die Kohärenz des Bewusstseins entsteht dadurch, dass ein neuronales Muster, das mit der besonderen Qualität des Bewusstseins gekennzeichnet ist, eine Kette anderer hervorruft, die constraints und Kontrollparameter für die jeweils nachfolgdenden sind (Selbstorganisation).
489 Ein Störungsattraktor ist hierarchisch hoch, Emergenz aus niedrigeren Attraktoren, Versklavung vieler anderer psychischer Prozesse.
491 Ontogenetische Potentiallandschaften (Berge und Täler) nach Thelen und Smith (1995), in denen verschiedene Aspekte des Beinbewegungsverhalten von Babies über die Entwicklungszeit graphisch dargestellt sind. Am Ende der Entwicklung haben sich verschiedene Fortbewegungsarten (Attraktoren) herausgebildet: Hüpfen, Springen, Gehen (stabilster Attraktor), Rennen, Krabbeln usw.
492 Motivationale Attraktoren können sich von ihren Entstehungsbedingnungen (Kontrollparametern) lösen und danach ein Eigenleben führen.
Allport (1937): funktionale Autonomie der Motive.
493 Schemata oder Attraktoren, die zur Bedürfnisbefriedigung entstanden sind, müssen nicht Mittel zur Erfüllung der Bedürfnisse bleiben.
494 Unser Gedächtnis erlaubt uns nur in beschränkten Maß, Vergangenes in die Gegenwart zu transportieren. Der Transport geschieht mit den Mitteln des heutigen Funktionierens, unter den heutigen Motiven, Wahrnehmungs- und Denkkategorien.
495 Erinnerung ist Transformation. Ein Zurück ist unmöglich, weil die Gedächtnisspuren mit neuen neuronalen Bahnungen überschrieben wurden.
Erinnerungen und die Übertragung in der PT sind ein aktuelles und kein vergangenes Geschehen. Dennoch können heftige Emotionen auftreten, die denen der Vergangenheit ähnlich sind, weil sie noch nicht überschrieben wurden. Aber sie sind heute in eine ganz andere Attraktorlandschaft, die als constraints und Kontrollparameter wirken, eingebettet.
496 PT muss Erregungsmuster überschreiben -> reale, neue korrektive Erfahrungen.
Thelen und Smith sehen mit Bowlby die Entwicklung der Schemata unter dem Hauptmotiv (übergeordneten Attraktor) der überlebenswichtigen Bindung = Nähe zur Mutter zwecks Schutz und Komfort.
PT: Wie steht die Potentiallandschaft der motivationalen Attraktoren in Beziehung zur Problematik des Patienten? Wie kann ich die Landschaft therapeutisch nutzen und weiterentwickeln?
Thelen und Smith nennen einen Vermeidungsattraktor Repellor.
499 Potentiallandschaft mit drei Farben, eine für intentionale, eine für Vermeidungs- und eine für Konfliktattraktoren als  Darstellungsform des Lebenslaufs eines Patienten, die sein heutiges Funktionieren deutlich macht.
500 Emotionale Attraktoren bewerten die Wahrnehmung, können aber bei wiederholter Bahnung (z.B. durch Konditionierung) auch an andere Erregungsmuster gekoppelt sein.
Ein emotionaler Attraktor kann durch positive Rückkoppelung so verstärkt werden, dass er schließlich autonom wird, das übrige pschische Geschehen versklavt und wichtigen motivationalen Attraktoren zuwiderläuft (z.B. Wutanfall, Jähzorn, Eifersucht, Angst und Depression).
501 Ziel der Therapie: Kontrollparameter dieses emotionalen Attraktors herausfinden und durch neue motivationale Attraktoren überschreiben.
502 Emergenz (Produkt der Selbstorganisation), funktionale Autonomie und Versklavung sind Kennzeichen von Störungsattraktoren. Ihre funktionale Autonomie wird subjektiv als Kontrollverlust erlebt.
503 Bulimie: individuell internalisierter kultureller Kontrollparameter des Schlankheitsideals, weiters individueller Kontrollparameter einer fehlenden positiven Vaterbeziehung, geringes Selbstwertgefühl, externale Kontrollerwartung, hoher Neurotizismus.
504 Das neue Erregungsmuster Hperphagie hängt von constraints und Kontrollparametern ab. Es erfordert eine differentielle Verstärkung und positive Rückkoppelung und dient der Reduktion einer erhöhten Inkonsistenzspannung (die zu stärkeren Fluktuationen und Variationen der psychischen Aktivität führt).
505 Es ist ein insgesamt erhöhtes Inkonsistenzniveau aufgrund unbewusster Konflikte, das zur Ausbildung der spannungsreduzierenden psychischen Störung führt.
Die Konsistenz im Bewusstsein wird dabei durch eine Dissoziation im unbewussten Geschehen erkauft, die wiederum die Inkonsistenzspannung verstärkt. Die Störung reduziert vorübergehend diese Spannung, weil der Störungsattraktor viel psychische Aktivität zu einer neuen Ordnung zusammenbindet oder versklavt. Aber letztlich sind Bewusstsein, Störungsattraktoren und motivationale Attraktoren inkonsistent -> Leidensdruck.
Kurzfristiger Konsistenzgewinn bedingt langfrisitgen Konsistenzverlust -> Gefahr weiterer Störungen.
506 Therapieziel v.a. bei Komorbidität: Verringerung von Inkonsistenz neben störungsspezifischen Zielen (Smptombeseitigung).
507 Eine Störung wie die Bulimie spielt sich unter den constraints Kühlschrank, Küche, Nahrungsmittel, Toilette als Ort des Erbrechens ab -> Einschränkung der Freiheitsgrade.
Die Menschen, die unter störungsspezifischen constraints stehen, werden sich ähnlicher, als sie es normalerweise wären. Deshalb können die autonom gewordenen störungsspezifischen Attraktoren mit weitgehend gleichen therapeutischen Vorgehensweisen behandelt werden.
Störungsspezifische Manuale haben den Vorteil, dass sie viel empirisch gewonnenes, überindividuell gültiges Wissen über die Kontrollparameter der Störung und die Einflussmöglichkeiten enthalten.
508 Störungsspezifisches Know-how -> Besserungserwartungen.

520 Bewusstsein ist ein Produkt der motivationalen, emotionalen und interpersonalen Attraktoren (energetisiert durch die Bedürfnisspannung und nach Überwindung des Konsistenzfilters), und zugleich ihr mächtigster Kontrollparameter -> bewusste Veränderung, Großteil der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient.
Was in das Bewusstsein des Patienten Eingang finden soll, muss mit seinen motivationalen Attraktoren vereinbar sein, sonst passiert es nicht den Konsistenzfilter (-> Auftragsklärung).
Attraktoren -> impliziter Funktionsmodus (parallel inkonsistente Prozesse möglich, jedoch begrenzt durch constraints).
Eine hohe Inkonsistenzspannung begünstigt die Entwicklung von Störungsattraktoren (Selektion neuer neuronaler Gruppen, neue Erregungsmuster), die vorübergehend die Spannung reduzieren und einen Teil der psychischen Aktivität versklaven.
521 Wenn Therapeut Patienten begegnet, sind durch die Wirkung des Störungsattraktors auf die anderen Attraktoren die Determinanten seiner psychischen Aktivität, die ursprünglich zur Störung geführt haben, bereits verändert. Die inkonsistenzerzeugende Konstellation kann sich bereits aufgelöst haben.
Man muss die Störungsattraktoren  u n d  die permanente Produktion von Inkonsistenzspannung (via Vermeidungs- und Konfliktattraktoren) behandeln.
522 Grawe vermutet, dass die negativen Gedanken durch reentrant mapping mit dem Störungsattraktor verbunden und zu seinen internen Kontrollparametern werden und nicht eigentliche Ursache der Störung sind.
Wichtig Abb. 2.39 und 2.25.
525 Nutzen einer vergangenheitsorientierten Aufarbeitung: Aufmerksamwerden auf Problemaspekte und Kontrollparameter, die im gegenwärtigen Querschnitt nicht sichtbar werden, Erinnerungen aktivieren, die mit neuen Erfahrungen überschrieben werden.
Veränderung wirkt immer von der Gegenwart in die Zukunft, nicht von der erinnerten Vergangenheit auf die Gegenwart.

3. Dialog

Eine pschologische Theorie der Psychotherapie 

533 Patient kommt, weil die Grundbedürfnisse nach Lust/Unlustvermeidung, Orientierung und Kontrolle sowie häufig auch nach Bindung verletzt werden. Allein die Aufnahme einer PT befriedigt Bindungswunsch und reduziert Kontrollverlust -> Verbesserung des Befindens durch positive Kontrollerfahrungen, Aussicht auf Kontrolle, Orientierung, Hoffnung und Erleichterung sowie nach Geborgenheit, Verlässlichkeit, Unterstützung und Selbstwerterhöhung innerhalb einer komplementären Beziehungsgestaltung nach Grawe.
534 Kontrollerfahrung durch
        frühzeitige Verbalisierung der Ressourcen = positiven Ziele und Fähigkeiten -> Selbstwerterhöhung
        Auftragsklärung: Therapie soll so gestaltet werden, dass sich der Patient im Sinne seiner mitgebrachten intentionalen bzw. motivationalen Schemata verhalten kann
        frühzeitige Klärungs- und Bewältigungserfahrungen (z.B. Entspannungstraining) -> Selbstwirksamkeit
        klare, transparente Struktur des therapeutischen Vorgehens -> Orientierung
        Möglichkeiten für einen Eigenbeitrag des Patienten im Sinne seiner Ziele
        das Verfügung-Stellen eines den Eigenarten, Erwartungen und Überzeugungen des Patienten entsprechenden Rationales zur Erklärung seines Zustandes und eines daraus abgeleiteten Veränderungsprocedere (Jerome Frank, 1982; Fish, 1973)
        ganz allgemein bedürfniserfüllende Wahrnehmungen zu Beginn einer Therapie (nicht nur PT) -> verbessern das Befinden -> höhere Wahrscheinlichkeit einer Symptomreduzierung.
Therapeut soll sich fragen: Was kann ich tun, um dem Patienten positive Wahrnehmungen im Sinne seines Bedürfnisses nach Orientierung und Kontrolle zu verschaffen.
537 Nach Bowlby haben Kinder ein angeborenes Bedürfnis nach Nähe zu einer Person, die das Leben besser meistern kann als das Kind. Bei schwerer Krankheit ist dieses Bindungsbedürfnis nach Geborgenheit und Hilfe akut aktiviert -> Besserung durch positive Beziehungserfahrungen (welche zugleich auch Autonomie gewähren -> Hilfe wird nicht durch Verlust von Freiheit bezahlt).
539 Krankheit = Kränkung des Selbstwertgefühls -> Notwendigkeit der Ressourcenorientierung und aufwertender Bemerkungen in Nebensätzen, damit der Patient nicht darauf eingehen muss.
Drei Hauptwirkkomponenten von PT:
1. Ressourcenaktivierung
2. Destabilisierung von Störungsattraktoren durch problemspezifische Interventionen
3. Reduktion von Inkonsistenz durch Veränderung motivationaler Attraktoren.
541 Patienten Gelegenheit geben, sich im Sinne seiner positiven Intentionen und Stärken zu verhalten.
Inkonsistenz- oder Inkongruenzreduktion (zwischen motivationalen Schemata und realer Erfahrung) durch positive Beziehungserfahrungen, Kontrollerfahrungen und selbstwerterhöhende Wahrnehmungen -> bessere Lust/Unlustbilanz.
542 besseres Wohlbefinden, mehr Selbstbewusstsein, frische positive Erfahrungen der eigenen Wirksamkeit und guter Bindungsbeziehung zum Therapeuten -> Ermutigung eigene Schritte zu gehen, Erhöhung der Volitionsstärken (Produkt aus Erwartung und Wert) für bestimmte Intentionen -> Handlungsorientierung -> Bewältigungserfahrungen -> Intentionsrealisierung -> positive Rückkoppelung -> Veränderung der Kontrollparameter, Destabilisierung der Störungsattraktoren -> Symptomreduzierung.
543 Abb. Ressourcenaktivierung
546 NIHM-Depressionstudie (Elkin, 1994): Keine Unterschiede in der Wirksamkeit der kognitiven Therapie nach Beck, der interpersonalen Therapie nach Klerman und Weissman und Placebo-Medikament mit einem intensiven clinical management, einer psychologischen Betreuung durch einen Psychiater, der das Medikament verabreichte. Jedoch wirkte die kognitive Therapie besser bei Patienten, welche die Therapie bereits mit weniger kognitiven Verzerrungen begannen. Die interpersonale Therapie wirkte besser bei sozial besser angepassten Patienten -> Bedeutung der Ressourcen, zu denen die jeweilige Therapieform in Wechselwirkung trat.
549 Ein Störungsattraktor wie die Agoraphobie hat eine Reihe von Komponenten (Reaktionserwartungen nach Kirsch = Angst vor der Angst, Ergebnis-Folge-Erwartung, geringe Kompetenzerwartung für das Fertig-Werden mit Angst, Vermeidungsverhalten, das im emotionalen Gedächtnis gespeicherte Angstgefühl, die physiologischen Begleiterscheinungen, der motorische Ausdruck in der Mimik, die subliminale Aufmerksamkeitszuwendung zu angstauslösenden Reizen statt der Aufmerksamkeitsabwendung), die als Kontrollparameter des Störungsattraktors und zugleich als Unterattraktoren angesehen werden können. Zur Destabiliserung muss ich über störungsspezifisches Know-how verfügen, an welchen Komponenten und Kontrollparametern ich wie am besten ansetze.
550 3 von 4 Patienten mit Agoraphobie profitieren von der Expositionstherapie, die offensichtlich entscheidend auf die Kontrollparameter dieses Störungsattraktors, nämlich auf Vermeidungsverhalten und Erwartung destabiliserend einwirkt. Jedoch muss vorher der Kontrollmodus des Patienten in Richtung Handlungsorientierung verändert werden, wenn er noch nicht handlungsorientiert ist. Der Kontrollmodus hat seine eigenen Kontrolparameter und Komponenten, die man kennen muss.
551 Bei Anorexie ist essentiell, auf die Nahrungsaufnahme bezogene Kontrollpara        meter zu behandeln (Herzog, Hartmann und Falk, 1996). Erst nach Anwendung von verhaltenstherapeutischen Vorgehensweisen, die das Essverhalten direkt beeinflussen, stieg die Erfolgsrate (bezogen auf eine befriedigende Gewichtszunahme) einer zunächst nur pschodynamischen Therapie von 25 auf 70% an. Anders bei Bulimie: Kognitiv-behaviorale und interpersonale Therapie wirken auf das Essverhalten gleich gut. Bei Bulimie ist es offensichtlich nicht zwingend notwendig, das Essverhalten gezielt zu verändern. Es gibt offensichtlich noch andere Kontrollparameter, über die Einfluss auf das Essverhalten ausgeübt werden kann.
Als Kontrollparameter kommen nicht nur die Komponenten in Frage, welche die Störung in den Diagnoseinventaren definieren, sondern auch motivationale Attraktoren (z.B. Inkonsistenz zwischen Geborgenheitswünsche versus Autonomie bei Agoraphobikerinnen) oder interpersonale Attraktoren. In vielen Fällen wird sich die Lebenssituation weiterentwickelt haben, und der Störungsattraktor ist funktional unabhängig von den Entstehungsbedingungen geworden. Wenn motivationale Attraktoren jedoch noch immer eine Rolle als aktuelle Kontrollparameter spielen, müssen sie in der Therapie berücksichtigt werden.
553 Komorbidität berücksichtigen, jedoch nicht als reine Addition störungspezifischer Aspekte, sondern hinsichtlich der gemeinsamen motivationalen und interpersonalen Attraktoren.
Wenn die PT-Forschung eines gezeigt hat, dann dass der motivationale Kontext (wir können Veränderungen nicht gegen das Grundprinzip der Ausrichtung der psychischen Aktivität auf die Herbeiführung von Wahrnehmungen im Sinne aktvierter Ziele herbeiführen) und die vertrauensvolle Therapiebeziehung wichtiger ist als die problembezogene Intervention.
Ohne Ressourcenaktivierung bleiben störungsspezifische Interventionen erfolglos.
555 Verstärkerverlust-Hypothese Lewinsohns (1974, 1976) bei Depressionen: Patient soll wieder mehr das tun, was ihm früher Spass gemacht hat.
560 Störungsspezifische (für die meisten Patienten mit der Störung relevante)  u n d  individuelle (motivationale Schemata, die der gruppenstatistischen Forschung nicht zugänglich sind) Kontrollparameter.
561 Inkonsistenzreduktion durch Klärungsarbeit -> Bottom-up-Aktivierung und Bewusst-Machen (neue Bewusstseinsinhalte bilden) von impliziten (den Inkonsistenzfilter nicht passierenden, mit den im Bewusstsein befindlichen Schemata unvereinbaren) motivationalen Schemata und ihrer Funktion für die Störung -> Arbeit am Widerstand.
562 Das Anlegen neuer neuronaler Verbindungen (neue Bewusstseinsinhalte) gegen den hemmenden Einfluss bestehender Verbindungen verändert auch die Neuronennetze, von denen der hemmende Einfluss ausgeht -> reziproke Akkomodation im Sinne Piagets. Folge: Implizite Prozesse mit Kontrollparameterqualität für den Störungsattraktor werden bewusst steuerbar -> Kontrolle über Kontrollparameter -> Destabilisierung des Störungsattraktors -> weniger Vermeidungsschemata, mehr Spielraum für intentionale Schemata und korrektive Erfahrungen.
564 Korrektive Erfahrungen (Therapeut besteht Beziehungstest, d.h. er enttäuscht die Befürchtungen des Patienten, die zu einem Verhalten führen, das dessen intentionalen Schemata normalerweise abträglich ist und zur Bestätigung dessen Befürchungen und Vermeidungsschemata führt) können auch im bottom-up aktivierten impliziten Funktionsmodus gemacht werden, vor allem wenn gleichzeitig positive motivationale Schemata und Ressourcen aktiviert sind.
Roth (1995) setzt Bewusstsein generell mit dem Anlegen neuer neuronaler Verbindungen in Beziehung. Bewusstsein erleichtert die Anwendung des Gelernten auf neue Situationen -> Verbalisierung auf der Beziehungsebene.
565 Die Arbeit an motivationalen Schemata hat sich beim Training sozialer Fertigkeiten als sehr wirksam erwiesen (Grawe, Donati und Bernauer, 1994).
Zusammenfassen kann die Inkonsistenzreduktion durch Veränderung motivationaler Schemata auf drei Arten erreicht werden: 1. durch Klärungserfahrungen, 2. durch bewusste Bewältigungserfahrungen, 3. durch implizite korrektive Erfahrungen.
567 Ein Klärungsprozess, der sich nicht in konkreten Verhaltenskonsequenzen und realen Erfahrungen bewähren muss und diese nicht aktiv fördert, geht nur den halben Weg.
Fünf Haupteinflussmöglichkeiten von Therapie:
1. ressourcenorientierte Interventionen
2. mit bewältigungsorientierten Interventionen auf störungsspezifische Kontrollparameter einwirken
3. mit bewältigungsorientierten Interventionen auf eine Veränderung motivationaler Konstellationen einwirken
4. Bewusstsein für störungsspezifische Zusammenhänge schaffen
5. Bewusstsein für motivationale Determinanten schaffen.

570 Psychische Störungen entwickeln sich nur, wenn Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind. Ein Mensch, der in seinen Grundbedürfnissen nicht verletzt und beeinträchtigt ist, entwickelt keine psychische Störung.
571 Höchstes Ziel von PT: Konsistenzerhöhung. Psychische Störungen sind Produzent (wird reduziert durch Ressourcenaktivierung und Problembewältigung) und Produkt (wird reduziert durch motivationale Klärung) von Inkongruenz und Diskordanz.
Grawe fordert explizit neben der Analyse und Destabiliserung der aktuell wirksamen Störungsschemata und Ressourcenorientierung eine ätiologische Betrachtung psychischer Störungen. Verstehen-Wollen entspringt dem Grundbedürfnis der Kontrolle und Orientierung.
572 Auslösende Situation -> Konflikt zwischen intentionalen (erregenden) und Vermeidungsschemata (= hemmend) -> Zunahme der Inkonsistenz, Diskordanz, Spannung -> Zunahme der Vermeidung von Diskordanz durch Nichtgleichzeitigkeit ihrer bewussten Repräsentation -> Dissoziation der bewussten und impliziten Prozesse -> keine bewusste Kontrolle -> Störung/Symptomatik -> weitere Inkonsistenz -> neue Störungsattraktoren.
574 Komorbidität macht strikt auf eine isolierte Störung bezogene Therapiemanuale problematisch.
575 Von der Forschung bislang unbeantwortet, ob Mono-Störungen und komorbide Störungen unterschiedlich angegangen werden müssen.
579 Rief und Hiller (1998):Eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung hat bei Patienten mit Somatisierungsstörungen eine Effektstärke von gerade einmal .40 (Kontrollgruppe .36). Vermutlich liegt ein hohes Inkonsistenzniveau aufgrund einer individuellen Konstellation motivationaler Schemata vor.
Ein direktives klärungsorientiertes gesprächstherapeutisches Vorgehen bei Colitis ulcerosa brachte eine Effektstärke von 1.3 (Sachse, 1997).
581 Komorbidität als Indiz für ein dauerhaft erhöhtes Inkonsistenzniveau, das wiederum eine motivationsverändernde Therapie indiziert.
582 Dreikomponentenmodell der Wirkungsweise von PT
584 Bei Aktivierung intentionaler Schemata kann es auch zur Aktivierung der Vermeidungsschemata kommen und damit zu einer erhöhten Konfliktspannung und Inkonsistenz -> Symptomzunahme.
591 Abb. Fünf Dimensionen (mit je zwei Perspektiven) von PT:
1. Bewertungsdimension: Ressourcen- und Problemperspektive
2. Systemdimension: Intra- und interpersonal
3. Funktionsmodus/Kommunikations-Dimension: implizit-nonverbal und bewusst-inhaltlich
4. Bedeutungsdimension: motivational (Klärung des Wollens) und potential (Problembewältigung durch Können-Lernen)
5. Veränderungs- (prozessuale) Dimension: Zustandsperspektive (Aktivierung einer Erregungsbereitschaft) und Veränderungsperspektive (Überschreibung mit neuen Erfahrungen).
596 Systematik der fünf Dimensionen in Kombination mit dem Drei-Wirkkomponenten-Modell soll zu perspektivischen, mehrdimensionalen Denken anhalten und die scharf herausgearbeiteten Beiträge verschiedener Therapieschulen, aber auch deren Ausblendungen deutlich machen.
600 Eine Übertragungsdeutung ist unter dem Aspekt der Kommunikations/Funktionsdimension inhaltlich-bewusst, sie ist eine Intervention (Veränderungsdimension), die sich auf einen im impliziten Funktionsmodus prozessual aktivierten (Zustandsperspektive), interpersonalen (Systemdimension) Problems (Bewertungsdimension) bezieht. Das Übertragungsgeschehen selbst hat einen intra- und interpersonalen Aspekt.
605 Verdrängung ist psychische Aktivität zur Vermeidung von Inkonsistenz im Bewusstsein.
Inkonsistenzfilter = automatisierte präattentive Schutzmechanismen zur Inkonsistenzvermeidung (entspricht Freuds Zensor) -> positive Copingfunktion.
606 Unterschied zur PA: Für Grawe gibt es keinen Grund für die Annahme einer Symptomverschiebung (Konzept der Destabilisierung autonom gewordener Störungsattraktoren).
607 Der Akkomodation von Schemata nach Piaget (1976) entspricht die Bahnung neuer neuronaler Verbindungen und Erregungsmuster.
608 Veränderung intrapersonaler impliziter motivationaler Probleme durch korrektive Erfahrungen und Durcharbeiten im Sinne der Neubildung von Bewusstseinsinhalten, deren Speicherung im konzeptuellen Gedächtnis und durch Assimilierung möglichst vieler konkreter Erfahrungen an die neuen neuronalen Erregungsbereitschaften (Schemata).
610 Gezielte Bedürfnisbefriedigung durch Ermöglichung von Wahrnehmungen, die mit einem wichtigen aktivierten motivationalen Schema kongruent sind, ist nach Grawe eines der besten Interventionsmittel. Es verstärkt nicht etwa das Problemverhalten, wie man es aus behavioraler Sicht annehmen könnte, sondern kann problematisches, den Therapieprozess störendes Verhalten reduzieren.
611 Daher soll auch beim Vermeidungsverhalten nicht nur behavioral auf dessen Aufrechterhaltung durch negative Verstärkung geachtet werden, sondern auf die aktivierten zugrundeliegenden Grundbedürfnisse, Befürchtungen, Erwartungen, dysfunktionalen Kognitionen (Pentagramm) eingegangen werden.
612 Volitionen explizit einbeziehen und mit möglichst vielen Auslösern und bereits gut gebahnten positiven motivationalen Schemata verbinden -> Erhöhung der Volitionsstärke. Das Speichern von Plänen wird als eigene Gedächtnisform angesehen (Goschke, 1996).
615 Bindungsstil als intrapsychischer implizit potentialer Zustandsaspekt (neben anderen Erkenntnissen neuerer Forschung wie Aufmerksamkeitsstörungen, Verarbeitungsstile, defizitäre Copingmechanismen, Emotionsdysregulation, Encodier- und Decodierfähigkeiten für das Ausdrucksverhalten, Stressreaktionen und konditionierte Körperreaktionen) -> constraints und Kontrollparameter für Störungsattraktoren.
619 Beziehungsmuster sind interpersonale Attraktoren mit einer Eigendynamik, in die motivationale, potentiale und vergangene sowie aktuelle situative Umweltbedingungen als Kontrollparameter eingehen.
Im Begriff der Übertragung lässt sich die enge Verquickung von intrapsychischen und interpersonalen Geschehen besonders deutlich machen: frühe Bindungsbedürfnisse -> neuronale Erregungsbereitschaften -> bottom-up Aktivierung in der Therapiebeziehung im impliziten Funktionsmodus.
620 Korrektive Erfahrungen haben eine höhere Chance, generalisiert zu werden, wenn sie in den bewussten Funktionsmodus transformiert werden.
Gegenübertragungskonzept: zu einseitige Interpunktion, denn Therapeut ist auch Akteur in einer Realbeziehung.
Ressourcenaktivierung ist nach Grawe wichtiger als Übertragungsdeutung. (Allerdings können durch stellvertretende Introspektion implizite Bedürfnisse explizit gemacht werden, die Therapeut und Patient das Beziehungsgeschehen verständlicher machen -> Ressource.)
621 Aus interpersonaler Sicht ist die Therapiebeziehung nicht die einzige und wichtigste Realbeziehung des Patienten -> direkte Beeinflussung der Realbeziehungen notwendig -> systemischer Ansatz.
623 Erstinterview -> Abklärung und Indikationsstellung: Dazu 1. Problemperspektive (intrapersonal und interpersonal) einnehmen -> ICD, motivationale Inkongruenzen, 2. besteht Problembewusstsein? -> bewältigungsorientiert oder klärungsorientiert, 3. Behandlungsmotivation (Ressource) -> Indikation für PT, 4. interpersonale Perspektive: u.a. Fremdanamnese, hat Patient Bewusstsein für bestehende interpersonale Probleme? -> Setting, Systemressourcen.
627 Indikationsbogen:
A. Behandlungsbedürftige Probleme
1. Achse I - Störungen
2. Achse II - Störungen
3. problematische Lebenssituation
4. Inkonsistenzerzeugende Konstellation motivationaler Schemata
5. Problematische Beziehungsmuster und -abläufe
6. Sonstige Probleme
B. Schwerpunktsetzung:
Bewältigungs- oder klärungsorientiertes Vorgehen für 1. - 6.
C. Therapiesetting
Welche Settings sind unter dem Aspekt der Ressourcenaktivierung und Problembearbeitung zu favorisieren?
D. Eignung als Therapeut (Geschlecht, Alter, wünschenswerte und kontraindizierte Merkmale)
E. Art der therapeutischen Beziehungsgestaltung (komplementär, zu erwartende Beziehugstests)
F. Therapiemotivation
G. Indikationsstellung: Welches Therapieangebot scheint das beste?
Therapieangebot erst nach Indikationskonferenz mit erfahrenen Therapeuten -> Professionalität  -> optimale Induktion von Besserungserwartungen.
634 Man muss das Verfahren, dass sich für einen bestimmten Zweck als wirksam erwiesen hat, von seiner theoretischen Begründung abtrennen. Denn es wirkt ja das Verfahren, nicht seine Begründung (?).
636 Therapieplanungsbogen
1 Welche Ressourcen können wie aktiviert werden?
2. Welche Störungen, welche Komponenten sollen wie bearbeitet werden?
3. Welche Beziehungsuster (z.B. Koalitionsbildung, Triangulierung, diffuse Grenzen, symmetrische Eskalation, Kollusion) genaue Beschreibung) sollen wie bearbeitet werden?
4.1. Welche bewussten intentionalen und Vermeidungsschemata sollen wie aktiviert und verändert werden? Welche korrektiven Erfahrungen?
4.2. Welche unbewussten Konfliktschemata einschließlich ihrer intentionalen und ihrer Vermeidungskomponente sollen wie prozessual aktiviert, der Aufmerksamkeit zugänglich gemacht und mit korrektiven Erfahrungen verbunden werden?
5.1. Wie kann eine komplementäre Beziehungsgestaltung inhaltlich verbal (Ausdrücke, Worte, Sätze, Bilder)  und nonverbal (Zuwendung) erreicht werden?
5.2. Welche Beziehungstests sind zu erwarten? In welchem Verhalten zeigen sie sich, welche Wünsche und Befürchtungen stehen dahinter? Wie soll sich der Therapeut verhalten?
6. Für welche Ziele und für welches Vorgehen ist der Patient am meisten motiviert (Volitionsstärke)?
7. Konkretes Vorgehen -> Reihenfolge
642 Für die Achse II - Störungen stehen nur sehr begrenzt störungsspezifische Manuale zur Verfügung. Die Dialektische VT für Borderline-Persönlichkeitsstörungen von Linehan (1987) ist ein komplexes Behandlungsprogramm, das alle Therapiekomponenten beinhaltet.
Für Achse II - Störungen (Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen mit ihren ungünstigen Konstellation motivationaler Schemata) erfordern v.a. eine Therapieplanung zu Frage 3 (Beziehungsmuster) und 4 (motivationale Schemata).
644 V.a. die motivationalen Schemata benötigen Veränderung, für die der Patient wenig Bewusstsein hat (wenn er nicht weiß, was er eigentlich änderns soll).
647 Es ist zu erwarten, dass der Patient von sich aus seine wichtigsten motivationalen Schemata (inklusive einiger Konfliktschemata) an die therapeutische Beziehung heranträgt.
Ein wichtiger impliziter Auftrag: in der Sprache, in den Bildern, Wirklichkeitsmodellen des Patienten kommunizieren.
Bei Grawe nicht thematisiert: Frustration von Aufträgen. Doch zeitlichen Vorrang haben die Ressourcenorientierung und die bedürfnisbefriedigenden Erfahrungen.
650 Entwicklung bei Grawe: Vertikale Verhaltensanalyse -> (unbewusste) Plananalyse -> Schemaanalyse (v.a. der interpersonellen Wunsch-Vermeidung-Konflikt-Schemata -> verborgene Wunschkomponente).
652 Taxonomie der Zielkomponenten für intentionale (und Vermeidungsschemata):
Herausragen (schlecht abschneiden), vorteilhafte Eigenschaften haben, einem Standard entsprechen, gutes Selbstwertgefühl haben, sich verwirklichen, gute Gefühle haben, Kontrolle haben, Aufgaben bewältigen, autonom sein, für andere da sein, positive Beziehungen haben, Beistand erhalten, positive Rückmeldungen erhalten, nicht (verletzt und missbraucht werden).
654 Patienten werden hoch signifikant viel stärker von Vermeidungszielen, aber auch stärker von intentionalen Zielen bestimmt als Normale -> bei PT-Patienten scheinen Ziele stärker aktualisiert zu sein.
Therapeut nimmt Fremdbeurteilung hinsichtlich der wichtigsten Ziele vor -> Diskrepanz zur Selbstbeurteilung verweist auf unbewusste Ziele.
Zu jedem intentionalen Schema muss Therapeut die Komponenten Ziel, Handlung, Kognitionen, Emotionen und eine exemplarische aktivierende Situation benennen. Für ein Konfliktschema sind die Ziel- und Wunschkomponente, Kognitionen, Emotionen, Vermeidungsstrategien/verhalten, Annäherungsverhalten, Situation, Entstehungsbedingungen zu elaborieren.
657 Konsistenzanalyse: Patient und Therapeut schätzen getrennt das Ausmaß, in dem es Patient gelingt, die Zielkomponenten der herausgearbeiteten Schemata zu realisieren -> Inkongruenzniveau und Inkongruenzquellen -> Schemata, die am dringendstn verändert werden sollen.
Inkongruenz = externe Inkonsistenz geht meist auf interne Inkonsistenz = Diskordanz zurück.
Computerprogramm berechnet einen Inkonsistenzindex aus der Unvereinbarkeit der Zielkomponenten der individuell wichtigsten Schemata. Das Programm benennt die Schemata, die am meisten zur Diskordanz beitragen und mit motivationsverändernden Maßnahmen bearbeitet werden sollten.

674 Hand (1992): Intra- und interpersonelle Funktion der Symptomatik. Zwanghaftes Waschen reduziert die Angst, sich zu beschmutzen, aber auch negative Emotionen wie Wut, Hilflosigkeit, Erniedrigung, Ausgeliefertsein etc. -> Zwang als Ausdruck eines negativen emotionalen Schemas mit dem Ziel, vor aversiven Emotionen zu schützen und ein Mindestmaß an Kontrolle zu gewährleisten. Man kann Zwang auch als Störungsattraktor ansehen, der sich unter bestimmten motivationalen Bedingungen (Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung konnte nicht mit kongruenten Wahrnehmungen befriedigt werden -> Inkonsistenz) entwickelt hat, aber eine Eigendynamik (Auslösung der vorgebahnten Erregungsbereitschaften durch Situationen, die nichts mit den ursprünglichen Erlebnissen z tun haben) entwickelt hat -> Verringerung der Inkonsistenzspannung.
676 Interpersonelle Funktion des Zwangs: Distanz, Kontrolle und Ordnung in die Familieninteraktion ohne Grenzen und Regeln zu bringen und sich dennoch die Unterstützung und Zuwendung der Eltern zu erhalten.
681 Patient erstellt ein Waschprotokoll (Waschzeiten, Intensitität des Rituals, Auslöser, Verhalten, Gedanken und Gefühle nach dem Waschen) sowie hierarchisch geordnete Liste der gefährlichen Situationen und Gegenstände -> Analyse der störungsspezifischen Komponenten und Kontrollparameter, die mögliche Ansatzpunkte für die Destabilisierung des Störungsattraktors sein können.
694 Leider hat das Einüben von ressourcenorientierten Wahrnehmen, Denken und Handel in keiner der Teorieausbildungen, die ich kenne, den Stellenwert inne, der ihm nach unseren theoretischen Überlegungen angemessen wäre -> Pos. PT, Salutogenese.
Guter Therapeut:
1. ressourcenorientiert
2. prozessorientiert (implizite motivationale Schemata erkennen: nicht was, sondern wie und wozu Patient etwas sagt oder tut, De- und Enkodierfähigkeit, Beziehungstests erkennen, komplementäre Beziehungsgestaltung, Training von Mechanismen zur Konsistenzsicherung, perzeptuelle bottom-up-Aktivierung von Prozessen durch Familienskulpturen, Psychodrama, Gestalt, Imagination, Hypnose, Aufsuchen von Realsituationen, korrektive Erfahrungen).
3. Beziehungsexperte (Beziehungstests, Übertragung, Konzepte der symmetrischen Eskalation (Watzlawik, 1969), Kollusion, Koalition, Triangulation, Grenzen, Gruppenkohäsion, Interpersonales Kreismodell von Leary und Inventory of Interpersonal Problems von Horowitz, Structural analysis of Social Behavior von Benjamin, Adult Attachment Interview zur Diagnose von Bindungsstilen von Benoit und Parker)
4. Störungsexperte (Eigendynamik der Störung, Komponenten und Kontrollparameter, Praxismanuale)
5. Experte für motivationale Dynamik (Schemadynamik statt Psychodynamik, Grundbedürfnisse, Konsistenzerzeugung)
6. Bewältigungs-  u n d  Klärungsorientierung
7. verschiedene interpersonelle Settings
8. ganzheitliche Fallkonzeption und Therapieplanung
9. mehrdimensional (10 verschiedene Perspektiven) wahrnehmen, denken und handeln.

Zusammenfassende Wirkfaktoren nach Grawe

Erwartungsinduktion
Ressourcenaktivierung
Intentionsrealisierung
Problemaktualisierung
Problembewältigung
motivationale Klärung
Intentionsveränderung